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Ein Bär im Betstuhl

Titel: Ein Bär im Betstuhl
Autoren: Arto Paasilinna
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und ergriff laut kreischend die Flucht. Sie rannte zum Schutzzaun der Trafostation und betete unterwegs, dass das Tor nicht abgeschlossen sein möge. Es war offen, denn in der Not wird dem Menschenkind geholfen. Die Hilfe war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Bärin folgte Astrid und kam ebenfalls zur Trafostation. In ihrer Not blieb Astrid nichts weiter übrig, als auf den stählernen, mehr als zwanzig Meter hohen Hochspannungsmast zu klettern.
    Das Weib voran, die Bärin hinterher. Im Glockenturm von Nummenpää begann gerade in
    diesem Moment die Totenglocke zu läuten. Ein gewisser Aarno Malinen, Betreiber einer Schottermühle, war vor anderthalb Wochen gestorben, und Pastor Huuskonen sprach jetzt an seinem Sarg:
    »Von Erde bist du genommen, zu Erde sollst du wie­ der werden. Jesus Christus, unser Erlöser, wird dich am Jüngsten Tag auferwecken.«
    Huuskonen dachte bei sich, dass er in diesem speziel­ len Fall besser hätte sagen sollen, Malinen solle zu Schotter werden, doch die Anforderungen der Liturgie verboten solche Eigenmächtigkeiten.
    Malinen war gestorben, und auf seiner Reise ins To­ tenreich blieb er nicht allein. Astrid Sahari kletterte flink am Hochspannungsmast immer höher und höher hin­ auf, die Bärin mit aufgerissenem Schlund dicht auf ihren Fersen. Astrid musste sich entscheiden, was bes­ ser war, sich an die Stromleitung zu klammern oder sich von einem blutrünstigen Raubtier hier zwischen Himmel und Erde zerreißen zu lassen. Mit der Logik, die Frauen eigen ist, packte sie mit beiden Händen die Leitungen, die vom starken Strom nur so vibrierten. Es gab einen gewaltigen Lichtbogen: Die arme Frau versengte und wurde rosig wie Roastbeef, dann saftig wie Schmorbra­ ten und schließlich hart und trocken wie eine geröstete Maräne.
    Auch der Bärin erging es nicht besser. Sie schlug ihre Zähne ins Bein der röstenden Köchin und bekam da­ durch einen womöglich noch schlimmeren Stromschlag: Es entstand scharfer Bärenbraten, der dichte Pelz flammte auf wie eine Fackel. Der verkohlte Kadaver der Bärin klebte am Hochspannungsmast, in seinem Schlund hing die rußige Leiche der Köchin.
    Wegen des schrecklichen Unglücks fiel in der ganzen Gemeinde der Strom aus, das Licht erlosch, und auf der Bettenstation des Gesundheitszentrums geriet der an eine Beatmungsmaschine angeschlossene ehemalige Besamungstechniker Yrjänä Tisuri in große Bedrängnis. Dem Hausmeister gelang es nämlich nicht, den für die Notstromversorgung wichtigen Dieselmotor in Gang zu setzen, und so musste man den Besamungstechniker mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung am Leben halten. Das macht keiner Krankenschwester Spaß, wenn man bedenkt, dass Tisuri zeit seines Lebens ein ungepflegter, stinkender Geselle gewesen war, der tunlichst das Zäh­ neputzen vermieden hatte, besonders im hohen Alter.
    Neben der Trafostation, auf Astrid Saharis Hoffichte, winselten zwei schrecklich verängstigte Bärenkinder. Die beiden armen Teddys begriffen nicht, dass sie soeben Waisen geworden waren.
    PASTOR OSKARI HUUSKONEN
    VOLLZIEHT EINE ZWANGSTRAUUNG
    Die Balkenkirche von Nummenpää war im siebzehnten Jahrhundert errichtet worden. Die Überlieferung besag­ te, dass an derselben Stelle früher eine kleine Holzkapel­ le gestanden hatte, in der zur Sommerzeit, aber auch an hohen Festtagen im Winter seitens der Muttergemeinde Somero Gottesdienste abgehalten worden waren. Doch inzwischen hatte Nummenpää eine eigene Kirchenge­ meinde, der Pastor Huuskonen als Geistlicher vorstand. Er war verheiratet und hatte mit seiner Gattin zwei Töchter, die längst aus dem Haus und ihrerseits verhei­ ratet waren. Das Leben in dieser abgelegenen Dorfge­ meinde in Uusimaa bot wenig Erfreuliches, oft fühlte sich der Pastor einsam und niedergeschlagen. Er war ein temperamentvoller Kirchenmann, zu dem es besser gepasst hätte, Gottes Wort in einer größeren und wichti­ geren Gemeinde zu verkünden oder an höherer Position in der Hierarchie des Bistums zu wirken. Doch trotz wiederholter Versuche war es ihm nicht gelungen, Nummenpää zu verlassen. Lag es vielleicht an seinen bisweilen eigenwilligen Bibelinterpretationen, seinen häufig vom vorgeschriebenen Text abweichenden Predig­ ten oder seinen kritischen und galligen Stellungnahmen in der christlichen Presse? Oskari Huuskonen war Dok­ tor der Theologie und hatte seine Dissertation über die Apologie, die Verteidigung der christlichen Wahrheit, geschrieben. Er hatte diese Wahrheit in
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