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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer
Autoren: Melanie Rawn
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Kapitel 1
    Stronghold
    Der riesige Smaragd fing das Licht der untergehenden Sonne ein und sammelte es, bis aus dem Feuer ein Glühen wurde, ein lebendiges, grüngoldenes Licht. Obwohl die Höchste Prinzessin eine Lichtläuferin war und in den Künsten der Faradh’im unterwiesen, fehlten die Ringe an ihren Fingern, die ihren Rang unter ihresgleichen angezeigt hätten. Seit vielen Jahren trug sie nur noch den Ring ihres Gemahls, den Smaragd, den er ihr vor einem halben Leben geschenkt hatte. Doch heute Abend konnte sie die anderen auch noch an ihren Händen fühlen, so, wie sie es Lady Andrade einmal erklärt hatte: als Narben.
    In der Abenddämmerung waren andere bei ihr, die Faradhi -Ringe trugen. Die drei, die ihre Schwägerin, Prinzessin Tobin, trug, waren dieser ehrenhalber verliehen worden; sie bezeugten beachtliche Macht, wenn diese auch nicht auf die übliche Art erworben wurde. Tobins ältester Sohn Maarken und seine Gemahlin Hollis trugen jeweils sechs Ringe; Riyan, der einzige Sohn von Sioneds altem Freund Ostvel, hatte vier. Hätte Sioned die ihren noch getragen, so wären es sieben gewesen – aber sie gestand sich ehrlich ein, dass ihre Gaben und ihre Macht inzwischen den achten und neunten Ring verdient hätten. Ihr Entschluss, diese nicht einzufordern, zeigte deutlich, wem ihre Loyalität galt.
    Sie hob den Kopf und begegnete dem ernsten Blick ihres Gatten. Er kniete ihr gegenüber auf einem breiten, blauen Teppich, der auf dem trockenen Gras ausgebreitet war. Eine goldene Kohlenpfanne stand in der Mitte des Teppichs. Die große, leere Schale auf vier geschnitzten Drachenklauen war so blank poliert, dass sie wie ein Spiegel glänzte. Vor Sioned standen eine goldene Karaffe und ein dazu passender Weinkelch. Sie sah beides nicht sehr lange an; sie blickte in Rohans Gesicht, und wie immer verlieh ihr Kraft, was sie dort sah.
    Neben Rohan standen Maarken und Riyan; Hollis und Ostvel saßen zu Sioneds Rechter, Tobin und ihr Gemahl Chaynal zu ihrer Linken. Sie dachte an alle anderen, die nicht hier sein konnten, und an die Gründe für ihre Abwesenheit. Ihr Sohn Pol war wieder in Graypearl. Er lebte sicher unter den wachsamen Augen eines anderen Lichtläufers und alten Freundes, Meath, sicher auf Prinz Lleyns Insel. Alasen, Sioneds junge Verwandte, die mit Ostvel verheiratet war, war zwar in Stronghold, wollte aber nichts mit dem Tun der Faradh’im zu tun haben. Obgleich sie mit deren Gaben reich gesegnet war, ängstigten die Werke der Lichtläufer sie. Sorin, der dritte Sohn von Chay und Tobin, war weit fort. Er war das einzige Familienmitglied, das der heutigen Zeremonie beiwohnte, die seinen Zwillingsbruder zum Herrn der Schule der Göttin machen würde, zu Andrades Nachfolger.
    In den Gärten von Stronghold herrschte Stille. Prinzessin Milans Springbrunnen trocknete im Herbst immer aus. Bedienstete und Gefolgsleute waren in der großen Burg oder in den Höfen beschäftigt und bereiteten alles für die morgige Abreise vor. Tobin und Chay wollten nach Radzyn heimkehren, Maarken und Hollis zog es nach Whitecliff. Ostvel und Alasen wollten den Winter bei Riyan in Skybowl im Norden verbringen, ehe sie zur Felsenburg weiterreisten, wo Ostvel Pflichten als neuer Regent der Prinzenmark übernehmen sollte. Am morgigen Abend schon würden Rohan und Sioned wieder allein in Stronghold sein, nur durch ihre Lichtgewebe mit Familie und Freunden verbunden.
    Ein Blick auf die Schatten sagte Sioned, dass es an der Zeit war. Sie legte ihre geöffneten Hände auf die Knie und starrte auf den Smaragd. »Wie es bei dem Ritual Brauch ist, wird Andry vor den obersten Lichtläufern das FEUER anrufen, und Urival wird ihm den ersten Ring verleihen. Dann beschwört er die LUFT und erhält den zweiten Ring. Es gibt eine Pause, in der WASSER und ERDE geehrt werden, und dann muss er beweisen, dass er das Feuer beschwören kann. Dadurch verdient er sich den dritten Ring. Kurz vor Anbruch der Dämmerung wird er das Sonnenlicht weben, um diejenigen Faradh’im in der Schule der Göttin zusammenzurufen, die weniger als sieben Ringe tragen. Sobald er dies getan hat, wird man ihm den vierten und fünften Ring übergeben. Bei Mondaufgang wird er seine Fähigkeit beweisen, auch das Mondlicht zu weben, und das bedeutet den sechsten Ring. Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Ritual so verlaufen, wie es immer abgehalten wurde.«
    Chay wurde unruhig und runzelte die Stirn, denn er wusste, was Sioned sagen wollte, und es gelang ihm nicht, sein
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