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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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Gesicht dieses Verbrechers entdeckt hatte.
    Und so war
er ihm gegenübergesessen, auf der Suche nach dem Mann, den alle Welt für ein Monster
hielt. Hatte ihm das Essen vorgesetzt, von dem er zuvor hatte kosten müssen, ihn
zur Dusche oder Toilette geführt. Die Angst, dass Eichmann vergiftet werden oder
er sich etwas antun könnte, war gewaltig gewesen. So groß, dass Nagar, der 26-jährige
Ex-Fallschirmjäger, von zwei weiteren Kollegen beobachtet wurde, einer davon hinter
einer vergitterten Metalltür, ein weiterer im Raum dahinter postiert. Geschehen
war freilich nichts, bis zum heutigen Tag. Ein Tag, der in die Geschichte eingehen
würde.
    Rein äußerlich
die Ruhe selbst, sah Schalom, der Mann mit dem wohltönenden Beinamen, auf die Uhr.
Kurz vor zwölf. Und damit Zeit, ans Werk zu gehen. Der Pastor und der Arzt, auf
den die Gefängnisleitung nicht hatte verzichten wollen, warteten bestimmt schon
auf ihn. Nagars Körper straffte sich, und er betrachtete sein Gesicht im Spiegel
neben der Tür. Die Tage, welche er Auge in Auge mit Eichmann zugebracht hatte, waren
vorüber. Grund genug aufzuatmen und das, was zu tun übrig blieb, zu erledigen. Auf
dass sich die Geschichte niemals wiederholen möge.
    Kurz darauf,
exakt zwei Minuten nach Mitternacht, war es schließlich so weit. Alles, was Nagar
zu tun übrig blieb, war, Eichmann den Strick um den Hals zu legen und den Hebel
in unmittelbarer Nähe der Falltür, welche den Eichmann-Trakt mit dem Erdgeschoss
verband, auf Geheiß des Gefängnisdirektors nach unten zu drücken.
    Und zu hoffen,
dass er die folgende Szene vergessen würde.
     
    *
     
    »Ich hoffe, dass ihr mir bald folgen
werdet.« Die Worte waren ihm einfach herausgerutscht, und wäre der Hass, dem sie
entsprangen, nicht gewesen, hätte er die Fassade aufrechterhalten können. Im Angesicht
des Todes, selbst dann, wenn ihm der Strick um den Hals gelegt wurde, hatte er ein
Beispiel geben wollen. Weniger, um die Umstehenden zu provozieren, sondern um jenen,
die ihn in die Knie zwingen wollten, die Vergeblichkeit ihrer Mühe vor Augen zu
führen. Einer wie er war den Hyänen, die ihn umlagerten, haushoch überlegen. Das
war so und würde immer so bleiben.
    Nur keine
Reue, kein Anzeichen von Schwäche, keine Gefühlsduselei. Eichmann schnappte nach
Luft. Nur gut, dass der Wein, um den er gebeten und dem er im Übermaß zugesprochen
hatte, allmählich Wirkung zeigte. Jetzt galt es, aufrecht in den Tod zu gehen, oder,
wie er in einem Anflug von Sarkasmus konstatierte, so zu tun. Um jeden Preis. Es
galt, die Angst, welche ihn wie ein schleichendes Gift durchströmte, zu bezähmen.
Und sei es, indem er Phrasen benutzte, an die selbst er nicht mehr glaubte: »Es
lebe Deutschland. Es lebe Argentinien. Es lebe Österreich. Das sind die drei Länder,
mit denen ich am engsten verbunden war. Ich werde sie nicht vergessen. Ich grüße
meine Frau, meine Familie, meine Freunde. Ich hatte den Gesetzen des Krieges und
meiner Fahne zu gehorchen. Ich bin bereit.«
    Die Worte
waren kaum verklungen, als er den Boden unter den Füßen verlor. Dann, Sekundenbruchteile
später, straffte sich das Seil, an dem er baumelte, und er zappelte wie ein Fisch
hin und her. Er schluckte, japste, keuchte, hechelte, rang nach Atem, riss vor Angst
die Augen auf – und hoffte, dass der Kampf, den er ausfocht, von kurzer Dauer sein
würde.
    Das war
er in der Tat. Nur wenige Minuten, und der Tod würde ihn ereilen. Minuten, die Eichmann,
dem ein gnädigeres Schicksal als seinen Opfern zuteilwurde, indes wie eine Ewigkeit
vorkamen. Und als sei dies erst der Anfang, schwand ihm plötzlich das Bewusstsein
und er fand sich an einem gänzlich anderen Ort wieder, weit weg vom Block 1, in
dem er sein Dasein als Gefangener gefristet hatte. An einem Ort, der ihm irgendwie
bekannt, zugleich aber so unheilvoll vorkam, dass er instinktiv zurückzuweichen
begann. Nichts wie weg hier!, hämmerte es ihm durch den Sinn, weg hier, solange
es noch geht! Doch was er auch tat, so sehr er sich auch sträubte, widersetzte,
mit Zähnen und Klauen wehrte – es gab kein Entrinnen. Er musste sich in sein Schicksal
fügen.
    Und so verharrte
er auf der Stelle, umgeben von Gestalten, die immer näher an ihn herandrängten.
Männer, Frauen, Greise und Kinder, alle, bis auf ihn, splitternackt. Eichmann rang
nach verzweifelt nach Atem. Der Geruch von Schweiß, Kot, Menstruationsblut und Urin
hing in der Luft, und während sich die fensterlose Kammer füllte, wurde der Mann
in
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