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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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auszuweichen,
der urplötzlich vor ihm auftauchte. Tom Sydow musste seine ganze Kraft aufbieten,
wie so häufig, wenn er mit den Unbilden des Lebens konfrontiert gewesen war. Dank
seiner Zähigkeit und dem Willen, dem Tod zu trotzen, erreichte er jedoch sein Ziel.
Nur noch zwei, drei Schwimmzüge, und das rettende Ufer war erreicht.
    Dort brach
er zusammen, und es verstrich viel Zeit, bevor er sich wieder aufrappelte.

Der Scherge und sein Henker
     
    ›Der Henker ist ein kleiner Mann
von 75 Jahren, er hat einen weißen Bart und silbrige Schläfenlocken. Blut klebt
am Ärmel seiner Strickjacke, Tierblut; er ist ein Schochet, ein Schächter. Strenggläubige
Kranke rufen ihn, und er bringt ihnen ein Huhn oder ein Lamm, schwenkt es über ihrem
Kopf, spricht einen Segen, dann schneidet er dem Tier die Kehle durch. »Es funktioniert,
ich habe damit schon Sterbende und Unfruchtbare geheilt«, sagt Schalom Nagar.
    In der Nacht
zum 1. Juni 1962 tötete Schalom Nagar einen Menschen. Nagar zog an einem Hebel im
Trakt A1, im ersten Stock des Gefängnisses von Ramla. Der Hebel löste eine Falltür
aus, und einer der größten Nazi-Verbrecher der Welt fiel, an einem Strick hängend,
in den Tod.
    Zwei Jahre
nach seiner Entführung durch den israelischen Geheimdienst aus Argentinien war Adolf
Eichmann tot, der Leiter des Referats IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt, zuständig
für den Transport der europäischen Juden in die Konzentrationslager.
    Die Hinrichtung
war ein Triumph für den noch jungen Staat Israel, im Jahr 14 seines Bestehens.
    Zurück blieb
Schalom Nagar, der einzige Henker Israels. Er hat stellvertretend für eine ganze
Nation den Hebel gezogen. Er war es, der Eichmann vom Strick nahm. Seitdem ist Nagars
Leben mit dem von Eichmann verbunden, er wird ihn nicht mehr los, diesen Deutschen,
der dazu beitrug, sein Volk beinahe auszulöschen.
    »Ich war
damals erst 26, das war zu viel für mich«, sagt Schalom Nagar. »Ich wollte nie ein
Henker sein.«‹
     
    (Aus: Der Spiegel 17 / 2011, S.
136)
     
     
    »Ich hatte den Gesetzen des Krieges
und meiner Fahne zu gehorchen. Ich bin bereit.«
     
    (Eichmanns letzte Worte)

Epilog
     
    (Berlin,
Ramla / Israel, Freitag, 1. Juni 1962)

25
     
    Berlin-Wilmersdorf, Kolonie
Emser Platz │ 00:02 h
     
    Bald war es so weit. Endlich.
    Er musste
nur noch die Kleider wechseln, es sich auf seiner Pritsche bequem machen, den Entschluss,
den er gefasst hatte, in die Tat umsetzen. Das Wenige, was zu bedenken war, war
bedacht, der Brief, den er an Tom schreiben wollte, war geschrieben, die Vorkehrungen,
die er hatte treffen wollen, waren getroffen worden. Im Bruchteil einer Sekunde
würde es vorüber sein, das beruhigte ihn.
    Er war hierher
zurückgekehrt, nach all den Jahren. Jahre, in denen ihn die Vergangenheit verfolgt,
bedrängt und am Ende eingeholt hatte. Bei Kriegsende war er noch voller Hoffnung
gewesen, froh, die Zeit der Prüfungen hinter sich zu haben. Er hatte geglaubt, dass
sich alles zum Besseren wenden würde. Beharrlich, hartnäckig, felsenfest. Und war
eines Schlechteren belehrt worden.
    Die Peiniger
von einst, all die Menschenschinder, Schreibtischtäter und Henkersknechte – sie
waren wieder da. Jeder wusste es, aber niemand sprach darüber. Sie waren wieder
salonfähig geworden, jene, an deren Händen Blut klebte, an die man nicht erinnert
werden wollte. Leute wie dieser Eichmann, der Mann mit dem Allerweltsgesicht, die
Unscheinbarkeit in Person, der geborene Befehlsempfänger. Die Spitze des Eisberges,
bei dessen Anblick man sich fragte, wie viele seines Schlages den Krieg überlebt
hatten. Alle Welt hatte sich auf Hitler, Himmler, Goebbels, Heydrich, Göring und
ein halbes Dutzend weiterer Schreckensgestalten konzentriert. Und vergessen, dass
sie ohne die Eichmänner, welche ihnen zu Diensten gewesen waren, längst nicht so
viel Schaden hätten anrichten können.
    Sie waren
wieder im Kommen, all jene, die es verstanden hatten, im richtigen Moment die Fronten
zu wechseln. Im Herzen waren sie ihrem Führer stets treu geblieben, ungeachtet der
Gräuel, die nach Kriegsende zutage gefördert worden waren. Und seine Landsleute?
Die hatten mit alldem nichts zu tun, waren gezwungen gewesen, Befehlen zu gehorchen.
Hatten einen Eid geschworen, Familie, Bedenken, Angst, Skrupel und tausend Gründe,
ihn und seinesgleichen, welche zur Zielscheibe staatlicher Willkür geworden waren,
im Stich zu lassen.
    Damit war
es jedoch vorbei. Unwiderruflich. Er, David Rosenzweig, hatte
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