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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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    Hinter den beschlagenen Fensterscheiben
des Cafés an der Lombard Street dämmerte grau und neblig der Sonntagmorgen.
Jenseits der Spiegelglasfenster lag San Franciscos Touristenmeile: mehr als
vierzehn Häuserblocks mit Motels, Tankstellen und Restaurants, in denen täglich
Hunderte von Stadtbesuchern und Autofahrern auf der Durchreise abgefertigt
werden. Hier findet man keine Luxusherbergen wie weiter stadteinwärts; die Lombard
Street ist etwas für Familien, für junge Leute mit schmalem Geldbeutel und für
Rentner, die mal aus ihren engen Wohnmobilen raus wollen. Und für alle, die — aus
welchen Gründen auch immer — Anonymität suchen.
    Als sich die Dämmerung lichtete, nahmen
die häßlichen Zweckbauten langsam Konturen an. Ohne den wochentags dichten
Pendelverkehr sah die breite Asphaltdecke der Straße wie ein schwarzweiß
gestreiftes Niemandsland aus. Um sechs Uhr früh waren noch kaum Fußgänger
unterwegs.
    Ich saß seit fünf in diesem Restaurant,
das rund um die Uhr geöffnet hatte. Ich hatte schon mehrere Tassen Kaffee
getrunken und neugierige Blicke von der rot uniformierten Kellnerin geerntet.
Zwei Auslieferer der Sonntagsausgabe des Chronicle-Examiner waren
hereingekommen und mit Styroporbechern wieder abgezogen. Ein Taxifahrer hatte
sich eine Tüte Donuts gekauft. Doch nun war nur noch ich übrig. Ich saß in
meiner Nische am Fenster zur Straße und beobachtete das Kingsway-Motel
gegenüber.
    Es war eines der älteren Motels, von
denen es in dieser Gegend zwischen Van Ness Avenue und Lyon Street etwa zwei
Dutzend gab. Ein L-förmiges, zweistöckiges Gebäude mit darunterliegenden
Parkplätzen, merkwürdig blau gestrichen mit blaßgelben Verzierungen. Auf dem
immer noch erleuchteten Neonschild prangten Krone und Zepter. In der
nebelfeuchten Luft sahen die Spiegelglasfenster der Rezeption verschmiert aus;
die Gitter der Balkone lagen im Schatten, aber ich würde die Bewegung dennoch
wahrnehmen, wenn sich die Tür zu Zimmer 209 öffnen sollte. Bis jetzt war das
nicht geschehen, und der grüne alte Ford Ranchero, der dem Objekt meiner
Neugierde gehörte, stand noch wohlbehütet auf dem Parkplatz.
    Ich nippte an meinem Kaffee, verbrannte
mir die Zunge und seufzte ärgerlich. Mein Wecker hatte um vier Uhr morgens
geläutet — nicht gerade eine Zeit, zu der ich sonntags besonders gerne
aufstehe. Normalerweise bleibe ich bis Mittag im Bett, trinke Kaffee, lese die
Zeitung, lös’ die Kreuzworträtsel im Chronicle und im Examiner und schneide die Rabattcoupons aus (die ich immer vergesse, wenn ich einkaufen
gehe). Doch als angestellte Detektivin im Anwaltsbüro All Souls arbeite ich oft
zu ungewöhnlichen Tages- und Nachtzeiten. Und so saß ich hier, gähnte und trank
viel zuviel von dem miesen Kaffee.
    Während ich das Motel nicht aus den
Augen ließ, erwachte die Lombard Street allmählich zum Leben. Ein paar Autos
zuckelten vorbei; die meisten fuhren in Richtung Golden-Gate-Brücke ins sonnige
Marin County oder zu den Weintälern. Eine Frau im Regenmantel mit
Lockenwicklern unter einem Tuch trat aus der Eingangstür des Motels neben dem
Kingsway und führte einen kleinen kraushaarigen Hund an der Leine. Im nächsten
Block öffnete sich die Tür einer italienischen Bäckerei, und ein Mann mit einer
weißen Schürze trat heraus. Gähnend blieb er einen Augenblick draußen stehen,
dann verschwand er wieder im Inneren. Im Kingsway verließen ein paar Gäste ihre
Zimmer, aber die Tür zu Zimmer 209 blieb geschlossen.
    Mein Auftraggeber hatte nicht genau
gewußt, wann der Mann, den ich beschatten sollte, normalerweise das Motel
verließ. Möglicherweise stand mir eine lange Warterei bevor.
    Drei weitere rot uniformierte
Kellnerinnen erschienen zum Dienst, und die erste ging, ohne mir auch nur einen
Blick zu gönnen, obwohl wir einander mehr als zwei Stunden Gesellschaft
geleistet hatten. Ein junges Pärchen kam herein und bestellte ein opulentes
Frühstück. Als ihre Teller an mir vorbeigetragen wurden, knurrte mir der Magen.
Also bestellte ich mir ein Hörnchen und aß es betont langsam, während ich
weiter zum Fenster hinausstarrte. Irgendwie brachte ich es fertig, mir
Marmelade auf die Jeans zu kleckern; ich tauchte eine Serviette in mein
Wasserglas und wischte sie ab.
    Es war nach acht, als sich die Tür zu
Zimmer 209 endlich öffnete. Ich schrak zusammen, griff nach der Rechnung und
beugte mich zum Fenster vor, um den Mann zu betrachten, der herauskam. Er war
groß und schlaksig, trug
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