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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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Nebelgerät wieder
ab; ich wischte die Kamera so gut es ging trocken. Dann stand ich auf, und als
ich den Riesenfarn auf der Suche nach einem besseren Beobachtungspunkt
umrundete, fühlte ich mich wie eine Schauspielerin in einem Tarzanfilm. Der
Farn wuchs auf einer kleinen Insel in der Mitte des zweiten Teiches in dieser
Halle; auf einer Seite der Insel stürzte ein Wasserfall herunter und übertönte
mit seinem Geplätscher das Geräusch meiner Schritte. Fast alles in dieser Halle
war grün — von apfel- über smaragdgrün bis fast schwarz. Schlingpflanzen wanden
und ringelten sich um Rohrleitungen an der Decke herum, und die Luft war
erfüllt vom Geruch feuchter Erde.
    Ich fand einen günstigen Platz, ging in
die Knie und stützte mich mit den Ellbogen auf der Umrandung des Teiches ab und
richtete das 135-mm-Teleobjektiv auf einen Spalt zwischen dem Farn und dem
dürren Stamm einer Palme. Meine Nikkormat — uralt und heißgeliebt — war ein
neuer Bestandteil meiner beruflichen Trickkiste. Jahrelang hatte ich die Kamera
nur zu meinem Vergnügen benutzt: ein Hobby, das ich mir zugelegt hatte und sehr
unregelmäßig pflegte. Im vergangenen März, vor gut sechs Monaten, hatte mich
mal wieder der Ehrgeiz gepackt, aber schließlich sah ich ein, daß ich nie eine
gute Fotografin werden würde. Was ich einfangen wollte, kam auf dem Film
einfach nicht raus; was ich beim Knipsen für ein gutes Motiv hielt, erwies sich
als abgedroschen, wenn ich das Bild in der Dunkelkammer aus der
Entwicklungsflüssigkeit nahm. Nach dieser Einsicht empfand ich es nicht länger
als Verletzung meiner Privatsphäre, wenn ich mich meiner Kamera bei der Arbeit
bediente.
    Im übrigen ist eine Kamera ein ideales
Hilfsmittel für eine Detektivin — und das hat überhaupt nichts mit
Fotografieren zu tun. Einer meiner früheren Auftraggeber, ein weltberühmter
Fotograf, hat mir einmal gesagt, daß eine Kamera eine hervorragende »Tarnkappe«
sei. Wer eine Kamera in der Hand halte, meinte er, den schauen die Leute nur
selten genau an. Statt dessen konzentrieren sie sich auf den schwarzen Apparat
oder fingern an ihrem Haar oder Make-up herum für den Fall, daß sie mit auf das
Bild kämen. An einem Ort wie dem Botanischen Garten funktionierte dieser Trick
besonders gut, hier sah ich mit der Kamera aus wie eine harmlose Touristin
unter vielen anderen.
    Ich richtete das Teleobjektiv auf Frank
Wilkonsons Gesicht. Er sah angespannt aus, sein Mund wirkte wie ein dünner
Strich in seinem sonnengebräunten, wettergegerbten Gesicht. Er hatte die Augen
zusammengekniffen und starrte gebannt, nicht wie ich vermutet hatte, auf das
Wasser, sondern auf ein Schild, das aus dem Wasser aufragte. Ich stellte die
Linse ein und las: »Keine Münzen in den Teich werfen — sie vergiften die
Fische.« Der Teichgrund war mit Kupfer- und Silbermünzen übersät, und es war
kein einziger Fisch zu sehen.
    Mir entging nicht die Situationskomik,
aber Wilkonson hatte offensichtlich keinen Sinn für Ironie. Oder vielleicht,
dachte ich, sieht er weder das Schild noch den Teich. Seine Haltung — die
Unterarme auf die angewinkelten Knie gestützt, die Hände hingen baumelnd herab —
sah recht zwanglos aus, aber unter der Oberfläche spürte ich eine mühsam
gebändigte Nervosität. Während ich ihn betrachtete, wurden Frauenstimmen am
Eingang hörbar; Wilkonsons Kopf wirbelte erwartungsvoll in ihre Richtung. Aber
dann erlosch seine plötzliche Aufmerksamkeit, und er verzog fast zornig den
Mund. Ich richtete die Kamera auf die Tür und sah zwei Frauen, etwa in meinem
Alter — Mitte bis Ende Dreißig — , in der dünnen Sportkleidung, die Touristen
irrtümlicherweise im September in San Francisco für angemessen halten.
    War Wilkonson hier mit jemandem
verabredet? fragte ich mich. Seit ich ihn beobachtete — mittlerweile fast
vierzig Minuten hatte er nur einmal auf die Uhr gesehen. Aber jedesmal, wenn
jemand die Halle betrat, hatte er erwartungsvoll aufgeschaut. Wenn er hier auf jemanden
wartete, dann konnte es sich nicht um eine erfreuliche Zusammenkunft handeln,
darauf wäre ich jede Wette eingegangen; seine offensichtliche Spannung ließ
mich vermuten, daß er sich auf eine Konfrontation einstellte.
    Auf die Touristinnen, die gerade
hereingekommen waren, schien er einen ähnlichen Eindruck zu machen. Sie
zögerten und wandten sich dann in meine Richtung, anstatt auf den größeren
Teich zuzugehen. Während sie sich mit Worten der Bewunderung über die üppige
tropische
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