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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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eine Reihe von Türen, und ich konnte Stimmen und das
Geklingel von Telefonen hören. Da niemand zu sehen war, klopfte ich an die erste
Tür.
    Eine Männerstimme bat mich
hereinzukommen, und ich betrat einen Raum, der früher einmal ein
viktorianisches Wohnzimmer gewesen sein mußte. Auch hier dominierten kühle
Grautöne, und an den Wänden hingen gerahmte Skizzen der Kabelbahn. Der Kamin schien
zu funktionieren, und auf dem Sims stand ein ausladender Philodendron in einem
glänzenden Messingtopf. Ansonsten herrschte hier das reine Chaos: Hemden in
verschiedenen Farben und Formen hingen an langen Haken an der Wand; Schachteln
und Versandkartons lagen auf Regalen, Stühlen und auf dem Boden; im Erker stand
ein Bügelbrett; auf dem großen Mahagonischreibtisch türmten sich Papiere, die
wie Rechnungen und Bestellscheine aussahen; einige waren zu Boden gefallen.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch war etwa
sechzig. Er hatte volles, lockiges, weißes Haar mit gelblichen Strähnen. Sein
Gesicht war von Falten durchzogen — fröhliche Falten, dachte ich. Er hatte sehr
helle blaue Augen, und in seinem dunklen Anzug und dem weißen Hemd hätte er
auch zu einem diplomatischen Empfang gehen können. Als er aufstand, stellte ich
fest, daß er meine Größe von einssiebzig nicht ganz erreichte.
    Er streckte die Hand aus: »Sie müssen
Miss McCone sein.«
    Ich ergriff seine langen, knochigen
Finger. »Und Sie sind Mr. Goldring.«
    »Ja. Bitte setzen Sie sich.«
    Ich warf einen Blick auf die Stelle,
auf die er deutete, und stellte fest, daß der Stuhl unter Hemden und Schachteln
fast begraben war.
    »Oh, entschuldigen Sie bitte.« Er eilte
um mich herum und hob alles auf. »Wir beginnen mit unserem Weihnachtsversand,
und es geht alles drunter und drüber.« Einen Augenblick stand er da und wußte
offensichtlich nicht wohin mit seiner Last. Dann lud er sie auf dem Bügelbrett
ab. Das meiste fiel prompt wieder herunter. Rudy Goldring schlug in gespielter
Verzweiflung die Hände zusammen und ging zu seinem Schreibtisch zurück.
»Bitte«, sagte er nochmals und deutete auf den nun freien Stuhl.
    Ich setzte mich, und er ließ sich auf
seinem Schreibtischsessel nieder. Es war ein großer Polstersessel, in dem er
wie ein Zwerg wirkte. Ich fragte: »Verschicken Sie Ihre Produktion von diesen
Büros aus?«
    »Das meiste wird von der Fabrik aus
versandt, am Ende der Straße. Vielleicht haben Sie sie gesehen — das gelbbraune
Gebäude an der Ecke?«
    Ich hatte sie zwar nicht gesehen,
nickte aber trotzdem.
    »Die Ware für den Einzelhandel wird von
dort verschickt. Die Konfektionsware, nicht die Maßanfertigungen. Wir liefern
mittlerweile in alle Bundesstaaten, und das Volumen vergrößert sich täglich.
Wer bereit ist, soviel Geld auszugeben, wie Hemden heutzutage kosten, verlangt
Qualität. Aber dies« — er wies auf die Hemden um sich herum — »sind
Maßanfertigungen. Für langjährige Kunden. Gute Kunden. Ich bediene sie gerne
persönlich. Wir prüfen hier jedes Hemd, bügeln es, stecken die Nadeln rein und
verpacken es hübsch. Manche kommen seit mehr als dreißig Jahren zu mir. Sie
erwarten gute persönliche Beratung, und die bekommen sie.«
    »Haben Sie hier in der Stadt einen
Laden?«
    Er lächelte, seine Falten vertieften
sich noch, und er breitete die Arme aus. »Der Laden ist hier. Ein Mann, der zur
Anprobe kommt oder sich Muster ansehen will, kommt hierher. Wir haben einen
netten Raum weiter hinten, wo wir Kaffee oder einen Drink anbieten. Die Anprobe
gehört zum Kauf eines guten Hemdes.«
    »Wieviel kostet so ein Maßhemd denn?«
    »Zwischen sechzig und zweihundert
Dollar, je nachdem. Dafür bekommen Sie aber auch Qualität. Wir nehmen sechzehn
verschiedene Maße, wir berücksichtigen nicht nur die Kragenweite, sondern auch
die Höhe. Vielleicht haben Sie einen Ehemann, dem Sie zu Weihnachten ein
Maßhemd schenken wollen?«
    »Nein.«
    »Eine hübsche Frau wie Sie? Einen
Freund?«
    Ich hatte im Moment keinen, aber es
machte mir, meistens jedenfalls, nichts aus, das zuzugeben. Ich schüttelte den
Kopf und lächelte.
    »Das kann sich bis Weihnachten noch
ändern. Dann denken Sie an mich. Wir machen ihm etwas Schönes.«
    »Ich werde daran denken. Aber nun
sprechen wir besser über das Geschäftliche. Jack Stuart sagte, Sie wollen, daß
ich am Sonntag jemanden beschatte.«
    Als ich das Geschäftliche erwähnte,
verschwand das Lächeln von Rudy Goldrings Lippen, und seine Augen verdunkelten
sich. Er griff einen Brieföffner aus
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