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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich
Autoren: Marcia Muller
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Goldring log — da war ich sicher.
Ob in bezug auf King City oder seine Kusine Meta oder die ganze Geschichte,
konnte ich nicht sagen. Aber ich wäre bereit gewesen, ein Wochengehalt darauf
zu wetten, daß mehr als fünfzig Prozent seiner Geschichte erlogen war.
    An der Art, wie er meinem Blick
auswich, erkannte ich, er wußte, ich durchschaute ihn. Eine Röte war über
seinem makellosen weißen Hemdkragen aufgestiegen und hatte sich über sein
Gesicht ausgebreitet. Ich spürte, daß es ihm nicht leichtfiel zu lügen — daß er
Lügen wahrscheinlich haßte. Die Tatsache, daß er log, hieß, daß ihm die Gründe
für die Beschattung von Frank Wilkonson sehr am Herzen lagen — und vielleicht
nicht recht ehrenhaft waren.
    Nach einer guten halben Minute
Schweigen begann er zu sprechen. Sein Blick war immer noch auf den Schreibtisch
gerichtet. »Würden Sie das für mich tun, Miss McCone?« In seiner Stimme lag ein
flehender Appell, den ich von dem fröhlichen Mann, der mich empfangen hatte,
nicht erwartet hätte. Und ich hatte Mitleid mit ihm.
    Ich zauderte. Als Angestellte der
Kanzlei All Souls hatte ich eigentlich nicht das Recht, einen Auftrag
abzulehnen, es sei denn der Kunde verlangte etwas Gesetzwidriges. Wenn ich
diesen Überwachungsauftrag nicht annahm, wäre ich sowohl Jack Stuart als auch
meinem Chef, Hank Zahn, einige Erklärungen schuldig. Außerdem mochte ich ihn,
und darum sagte ich: »Ja, Mr. Goldring.«
    Er ließ den Brieföffner fallen und
schaute mit einem kleinen Seufzer auf.
    »Danke. Vielen Dank.«
    Wir gingen die mageren Angaben über
Frank Wilkonson nochmals durch. Goldring wich fast mit keinem Wort von seiner
vorherigen Geschichte ab. Als er mich zur Tür begleitete, war der Obdachlose
immer noch auf der Treppe. Er schaute auf und salutierte: »Hi, Captain.«
    »Hallo, Bob. Ist es nicht fast Zeit für
dein Abendessen?«
    »Weiß nicht. Wie spät ist es?«
    »Fast fünf. Du solltest besser nach St.
Anthony hinübergehen und dich anstellen. Sonst bekommst du keinen Platz mehr.«
    Der Obdachlose warf einen bedauernden
Blick auf die Bierdose, die er in der Hand hielt. Dann schüttelte er sie. Sie
klang leer.
    »Kein Bier mehr, Bob. Nicht bevor du
etwas gegessen hast«, sagte Goldring.
    Der Mann zuckte gottergeben mit den
Achseln, versteckte die Dose sorgfältig hinter einer der Verandasäulen und zog
hinter einer anderen Säule einen abgeschabten, verzierten Lederbeutel mit
Fransen hervor. Er stand auf, legte den Riemen um die Schulter und marschierte die
Treppen hinunter.
    »Er scheint sich für Ihren Pförtner zu
halten.«
    »Irgendwie ist er das auch. Er bewacht
die Stufen und weist den Leuten den Weg, und ich gebe ihm Bier und erinnere ihn
ans Essen. Ich sollte ihn wahrscheinlich nicht zum Trinken ermutigen, aber wenn
ich ihm nichts mehr gebe, wird er trotzdem nicht aufhören. Er ist sowieso recht
harmlos.«
    »Er war zwar sehr höflich, als ich hier
ankam, aber schreckt er Ihre Kunden denn nicht ab?«
    »Die meisten haben sich an Bob gewöhnt.
Er ist schon seit über fünf Jahren hier. Die anderen werden vorgewarnt.«
    »Er ist so etwas wie Ihre gute Tat,
oder?«
    »So könnte man es wohl nennen.«
Goldring schaute dem Obdachlosen nach, und sein Gesicht drückte die
unterschiedlichsten Gefühle aus. »Es gibt so viele von ihnen. Und man kann
nicht für alle etwas tun. Aber ich denke mir immer, wenn jede Firma südlich von
Market sich eines einzigen Menschen annähme... Oje, Sie wollen sicherlich nicht
dem Gebrabbel eines alten Mannes zuhören, Miss McCone. Und ich muß vor der
letzten UPS-Abholung noch ein Dutzend Hemden einpacken. Sagen Sie mir am Montag
Bescheid, was Sie über Frank Wilkonson herausgefunden haben?«
    Das versprach ich ihm. Goldring
schüttelte mir die Hand und ging zurück ins Haus.
    Ein interessanter Mann, dieser Rudy
Goldring, dachte ich, während ich zu meinem Auto zurückging. Kompliziert,
verletzlich, eigenartig anziehend. Und trotz seiner offensichtlichen Lügen, ein
ehrlicher Mann. Im Konflikt wegen seiner Ehrlichkeit. War das wirklich der
Grund, warum ich seinen Auftrag annahm, obwohl mein Instinkt mich warnte?
    Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Manchmal wußte ich nicht genau, warum ich manche Aufträge übernahm — und
ebensowenig, wohin sie mich führen würden.

3
     
    Um zwei Uhr am Montag morgen war ich
immer noch bei der Arbeit, ich stand in einer Parklücke gegenüber dem Kingsway
Motel vor dem Café, in dem ich fast vierundzwanzig Stunden zuvor schon
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