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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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sie: »Harry James.« Hans machte ein interessiertes Gesicht und versuchte einen mimischen Ausdruck zustande zu bringen, in dem sich Verständnis und staunende Bewunderung mischten. Zuviel Verständnis wollte er nicht heucheln, sonst würde sie ihn für einen Kenner halten, und er würde sich mit dem ersten Wort, das er nachher sagte, nur lächerlich machen. Marga hatte offensichtlich gemerkt, daß er kein Fan war, und setzte ihre Erläuterungen fort.
     »Benny Goodman, Lionel Hampton, Teddy Wilson, Helen Ward.«
     Als Hans einen vorsichtigen Blick auf die Nadel riskierte, sagte sie stolz: »Langspielplatte.« Dann legte sie sich neben ihn und ließ ihre langen Beine – sie trug Hosen mit grünroten Karos – in der Luft tanzen, hielt es nicht aus, sprang auf und ließ sich von der Musik in dem kleinen Zimmer herumtreiben. Hans lächelte wie ein alter Mann, der seinem Enkelkind beim Spielen zusieht. Um auch etwas zu tun, zündete er sich dann eine Zigarette an, obwohl es ihm eine Qual war, vor dem Zähneputzen und vor dem Frühstück zu rauchen. Unter anderen Umständen hätte er dieser Musik vielleicht gerne zugehört, aber jetzt hätte er lieber mit Marga gesprochen. Er mußte ihr doch erklären, daß er es nicht bereue, mitgegangen zu sein, er mußte ihr sagen, daß… daß er sie wirklich… ja eben, daß d alles seit gestern abend nicht bloß eine Laune, nicht bloß ein Produkt des Zufalls gewesen sei, daß er nicht mitgegangen sei, weil er zuviel getrunken hatte… aber Marga sah ihn so geradeheraus an, strich ihm, wenn sie von der Musik vorbeigetrieben wurde, so selbstverständlich über seine Haare, als kennten sie sich seit Jahren. Endlich hatte sich die Nadel durch alle Windungen hindurchgefressen. Es klickte. Dann war es so still im Zimmer, daß Hans kaum mehr zu atmen wagte. Marga beugte sich über ihn und sagte mit der leblosen Stimme einer Rundfunkansagerin: »Sie hörten Benny Goodmanns Jazzkonzert Nummer 2.«
     Hans holte ihre Hand zu sich. Aber Marga sagte, sie müsse jetzt gehen. An die Stange. Ja, sie habe jeden Nachmittag zwei Stunden Tanzunterricht. Seit sie im Sebastian arbeite, habe sie endlich Zeit und Geld, um sich ausbilden zu lassen. Sie wolle nicht an der Schreibmaschine versauern, auch nicht im Sebastian verkommen, o nein, sie wolle – und jetzt beugte sie sich zu seinem Ohr, daß ihre Stimme ihn ganz durchfuhr – eine berühmte Tänzerin werden oder auch eine Schauspielerin, auf jeden Fall etwas ganz Berühmtes, ein großes Tier. Ein großes Tier, dachte Hans und sah ihr nach, als sie sich wegschnellte, zum Schrank lief und ihren Mantel herausholte. Dann kam sie mit Trippelschritten wieder zurück, küßte ihn, zeigte ihm den Schlüssel, der auf der Glasplatte des Nachttisches lag – er erkannte ihn wieder, aber nun nicht mehr als das winzige Schwert, das ihn von Marga trennte –, zeigte ihm die Dose Fruchtsaft und die Kekse, die sie ihm als Frühstück bereitgestellt hatte, bat ihn, sooft wie möglich ins Sebastian zu kommen, weil sie es sonst bei diesen alten Knackern nicht aushalte, dann war sie, ehe Hans hatte antworten können, schon bei der Tür und draußen.
     Hans war froh, daß er sich unbeobachtet anziehen konnte. Als er sich die Hände wusch, bemerkte er seinen Verlobungsring. Ohrensausen und ein kleiner Schwindel. Er sah rasch in den Spiegel, befeuchtete seine Stirn, bis er sich wieder fest umrissen gegenüberstand. In seinem Kopf wollte sich ein Dialog entspinnen. Er würgte ihn ab. Trat zu den Bildern, mit denen die Wände tapeziert waren. Auf allen Bildern das gleiche: Instrumente mit Musikern dran. Auch ein paar Tänzerinnen: ein Körper, ein Gesicht, darunter verschiedene Namen. Eine korpulente Negerin an einem runden Fenster (das einzige Bild übrigens, das einen nicht bis zum Äußersten angestrengten Menschen zeigte), daneben der Text: »Ella Fitzgerald im Flugzeug. Sie las auf den verschiedenen Flugreisen insgesamt sieben Bücher.« Auf einem unordentlichen Stapel bunter Magazine entdeckte Hans ein kleines Büchlein, in schwarzes Leder gebunden, mit der weißen Aufschrift: »Mein Tagebuch.« Er setzte sich rasch aufs Bett und blätterte, da, ein Männername, Woody Hermann, was hatte sie über den aufgeschrieben? »Von der ersten band that played the blues bis zur heutigen boppigen Vereinigung mit ihrer spezifischen Klangbeschaffenheit… die 40-43 er Aggregation mit Billie Rogers, Cappy Lewis, Steady Nelson…« Hans blätterte weiter. »Keith Moon
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