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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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Ehrenjungfern neigten ihre großen Gesichter mit den schattigen Augen zu ihm hin, um ihn zu küssen, und Hände fuhren von allen Seiten auf ihn zu, um ihm zu gratulieren. Aber ehe er allen Angeboten hätte zusprechen können, drang Hermann in den Kreis und rief mit einer stahlharten Stimme: »Ich will auch aufgenommen werden!« So still wie in diesem Augenblick im Nachtlokal Sebastian, war es seit Erschaffung der Welt nirgendwo mehr gewesen. Hans, der gerade ein Glas Sekt in die Mundhöhle geleert hatte, schluckte das Getränk hinunter, alle hörten es und sahen zu ihm her, auch Hermann, Hans spürte die Blicke, er war plötzlich der geworden, von dem alles abhing. Hätte er nicht gerade in diesem Augenblick seinen Sekt hinuntergeschluckt, hätte nicht er die fürchterliche Lautlosigkeit unterbrochen – denn jetzt sah es so aus, als habe er absichtlich geschluckt, als sei dieses geräuschvolle Schlucken ein Ausruf gewesen, ein Bekenntnis, ein Versprechen und eine Kampfansage –, hätte nicht er alle Erwartungen auf sich konzentriert, vielleicht wären alle Sebastianer dann wie ein Mann vorgetreten und hätten das Ansinnen des Unwürdigen zurückgewiesen, zumindest aber hätte sich vielleicht Relow aufgerafft, nun irgend etwas zu tun, was eines Sebastianritters würdig gewesen wäre. So aber lag alles bei Hans Beumann. Der sah Hermann in die Augen, schwankte noch vom linken zum rechten Auge und wieder zurück, weil man ja nie einem Menschen, dem man so nah gegenübersteht, in beide Augen zugleich sehen kann (weshalb man im kämpferischen Sprachgebrauch auch sagt, man sehe dem Feind ins Auge! Dieser Singular ist sicher eine Frucht jahrtausendealter Nahkampferfahrungen des Menschengeschlechts), und endlich war er des Hin- und Herschauens überdrüssig und bohrte seinen Blick auf die Nasenwurzel des Gegners, die von herüber- und hinüberwuchernden schwarzen Augenbrauen dicht bewachsen war.
     »Ich forderte Sie auf, das Lokal zu verlassen«, sagte Hans mit einer Stimme, von der die Zuhörer annehmen mußten, sie gehöre einem Mann, der zum Äußersten entschlossen ist.
     Hans bemerkte, daß der Gegner lächelte und dabei eine Fülle gelber, aber starkgewachsener Zähne entblößte. Hans lernte diesen Mann in wenigen Sekunden kennen, als wäre er jahrelang mit ihm befreundet gewesen. Der war etwa gleich alt, vielleicht aus einem Dorf in der Nähe von Kümmertshausen, der Dialekt in dem einen Satz hatte ihn recht heimatlich angemutet. Hermann war sicher in einem jener Häuschen am Ende des Dorfes aufgewachsen, in denen die wenigen vom Grundbesitz ausgeschlossenen Familien hausen, vier, sechs Kinder, drei Zimmer, der Vater Taglöhner, die Mutter putzt im Schulhaus, die Söhne gehen, sobald sie die Schule hinter sich haben, in die Stadt und lassen jahrelang nichts mehr von sich hören. Kinder solcher Familien waren seine einzigen Spielkameraden gewesen, sie hatten Zeit gehabt wie er, waren nicht von bäuerlichen Eltern in jeder schulfreien Stunde mit dem Vieh aufs Feld oder mit Körben und Säcken auf die Äcker geschickt worden. Herman hieß der, Unsicherer im Nachnamen, oder Christlieb, oder Schäfler, oder Schorer, der mußte schöne Schwestern haben, und wenn die die schönen Zähne noch putzten, mit denen diese Taglöhnerfamilie gesegnet war… ob der von seinem riesigen Gewinn auch etwas heimgeschickt hatte, sicher, er sah eigentlich nicht aus wie ein Lümmel, seine Augen waren dunkel und gar nicht hart, ja, da zuckte sogar etwas… der hatte Angst vor ihm, natürlich, das war kein Kämpfer, so wenig wie Hans, der hatte sich bloß aufgespielt, erregt durch seinen großen Gewinn, jetzt wich er, als Hans sich auf ihn zuschob, langsam zurück, schaute geradezu flehend herauf zu Hans, denn ein paar Zentimeter war er doch kleiner als Hans, aber viel kräftiger gebaut, viel besser in Form, würde er sich von Hans tatsächlich so Schritt für Schritt aus dem Kreis hinaus und dann noch aus dem Lokal hinaus schieben lassen, nein, das konnte er nicht, zu viele schauten zu, zu weit hatte er sich vorgewagt, genau wie auch Hans jetzt nicht mehr zurück konnte, sie waren aufeinander losgelassen worden, trieben aufeinander zu, es war nichts mehr zu ändern. Hans erkannte, daß in seinem Gegner die Angst abzuflauen begann, aber sie war noch nicht ganz aus ihm gewichen, da war immer noch eine Scheu in seinen Augen vor dem besser gekleideten Herrn, den er wahrscheinlich für einen vornehmen Städter hielt, o ja, das macht was aus,
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