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Die Insel und ich

Titel: Die Insel und ich
Autoren: betty McDonald
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Kein Geld und keine Möbel
    Seit zwölf Jahren leben wir MacDonalds auf einer Insel im Puget-Sund im Stillen Ozean. Das Leben auf einer Insel, da hilft nun mal alles nichts, ist grundverschieden vom Leben in einem Grand-Hotel, aber man gewöhnt sich daran, ja, auf die Dauer gefällt es einem sogar. ‹C’est la guerre›, sagten wir meistens und blickten sehnsüchtig auf die Lichter der komfortablen Stadt Seattle jenseits des Wassers. Wenn sich jetzt der November (oder auch der Juli) wie ein nasser Schwamm rings um unser Haus lagert, dann sagen wir einander gefaßt: «Ich liebe unsre Insel, möcht nicht geschenkt woanders leben!»
    Ich will nicht behaupten, daß jedermann so wie wir leben soll, aber jeder kann auf einer Insel glücklich sein, wenn er sich mit den folgenden Tatsachen abfindet:
    1.   Wen man zu einem Mittagessen einlädt, der bleibt oft acht Tage, acht Wochen, acht Monate bei uns in Haus und Bett, und deshalb sage ich immer zu Don: «Es macht Spaß, draußen in der Hängematte zu schlafen, man muß nur vorher zwei Schlaftabletten schlucken und sich einreden, daß die Waschbären nichts als freundschaftliche Gefühle hegen!»
    2.   Jeder unumgängliche Termin, wie etwa die Geburt eines Kindes oder eine Geschworenensitzung, wirkt auf die Fährboote automatisch als Signal, den Verkehr einzustellen.
    3.   Wenn Verwandte telefonieren und so anfangen: «Hallo, mein Liebes, wir dachten, ob du vielleicht…», dann bedeutet es, daß man andrer Leute Kinder für längere Zeit aufgehalst bekommt.
    4.   Jedes Mittagessen reicht, wenn man es mit Nudeln streckt.
    5.   Wenn man das letzte Fährboot – nachts um ein Uhr fünf – verpaßt, muß man die ganze Nacht durch am Quai sitzen.
    6.   Wer auf einer Insel wohnen will, muß körperlich ganz auf der Höhe sein, und es ist besonders vorteilhaft, wenn man geistig nicht allzu sehr auf der Höhe ist.
    Unsre Insel, die im Jahre 1792 von Kapitän Vancouver entdeckt und nach seinem Freunde Vashon benannt wurde, ist – was Inseln betrifft – von mittlerer Statur, nämlich vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen etwa fünfzehn Meilen lang, bei einem Hüftumfang von fünf Meilen. Sie ist grün, so stechend grün wie gehackte Petersilie, und ruht mit ihren schön gepolsterten Rundungen im eisigen Gewässer des Puget-Sundes.
    Das Klima auf der Insel Vashon ist etwas wärmer und feuchter als das von Seattle und Umgebung und ideal für Rhododendren, Mehltau und Leute mit trockener Haut. Die Bevölkerung umfaßt etwa fünftausend wackere Männer und Frauen und eine nicht mitgezählte Gruppe kläglicher Feiglinge, die für den Winter wieder in die Stadt fliehen.
    Wegen ihrer Lage gegenüber dem herrlichen Festland, und weil die Insel steil aus dem Meere aufsteigt, ist sie reich gesegnet mit den schönsten Aussichtspunkten, deren berühmtester der Blick auf den unvorstellbar schüchternen Mount Rainier ist, der nur dann sein prächtiges Angesicht durch die Wolken steckt, wenn er sich vergewissert hat, daß Onkel Jim und Tante Lene aus Minneapolis bestimmt wieder abgereist sind. Mit seinen 4800 Metern ist er höher als der heilige Berg Fujiyama, wenn auch nur halb so hoch wie der Everest. Er hat 26 Gletscher, was die Nachschlagewerke als Glanzleistung vermerken, und meistens erscheint er nur als feenhaftes, in den Wolken schwebendes Trugbild. Die Inselbewohner dagegen vergleichen ihn mit einer Portion Eiscreme, je nach Tageszeit Vanille- oder Erdbeer-Eis, über das eine blaßblaue Soße rinnt.
    Alles blüht und gedeiht auf unsrer Insel mit fanatischer Energie, und wer zum erstenmal von der Landestelle aus aufbricht, denkt betroffen, er hätte sich lieber ein Buschmesser mitbringen sollen, denn die Straßen sind grüne Tunnel, und einzig das Elektrizitätswerk verhindert durch fleißiges Abhacken und Kappen, daß sie gänzlich im Dschungel ersticken. In dieser grünen Wildnis erscheinen die Häuschen winzig und verlassen, wie zarte Patienten in riesigen Federbetten.
    Sanfte Hänge bilden das Farmland auf Vashon, das wegen seiner Früchte, Hühner und Orchideen berühmt ist. Und überall stehen Kirchen, kleine, große, weiße, braune, schüchterne, stolze, und dazwischen ein paar Häuser, alte zerfranste Häuschen im grünen Dickicht oder auf hoher Klippenwand über dem Meer. Die säuberlich angestrichenen Neubauten liegen meistens dicht an der Landstraße oder an Buchten. Wir haben sogar einen besonderen Baustil auf der Insel, den wir unter uns als ‹Halvorsen-Haus›
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