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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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Hans brauchte nur einen einzigen Blick über die vor ihm immer noch fast unmerklich zurückweichende Gestalt zu werfen, die mit rasch gekauften Kleidern behängt war, und schon stählte Verachtung seine Augen, trieb sein Blut lebhafter durch die schwergewordenen Glieder, aber der andere sammelte sich auch, maß schon den städtischen Herrn, suchte nach dem Punkt, dem der erste Schlag gelten sollte, Hans spürte, daß keine Sekunde mehr vergehen durfte, wenn er seine gewissermaßen moralische Überlegenheit, die einzige Chance zu siegen, nicht opfern wollte, und deshalb schlug er zu, zweimal.
     Aber weil er weder den Magen noch den Hals oder gar das Gesicht zu treffen wagte, schlug er nur gegen die vor Muskeln starre Brust seines Gegners. Der andere schlug zurück, aber Hans mit seinem größeren Gewicht warf sich jetzt einfach auf ihn, wie sich ein Verzweifelter in einen Abgrund wirft. Und dabei gerieten sie über das Plateau, auf dem der heilige Sebastian stand, hinaus und stürzten über mehrere Treppen hinunter auf eine tiefer gelegene Terrasse. Der städtische Straßenreiniger mußte bei diesem von Hans’ ganzem Körpergewicht und von seinem verzweifelten Willen beladenen Sturz mit dem Hinterkopf auf eine der Stufen geschmettert worden sein. Er blieb auf der unteren Terrasse bewegungslos liegen. Hans erhob sich und schaute überrascht auf seinen Gegner hinunter. Die Mädchen brachten Wasser und Lappen. Hermanns Anhänger beugten sich über ihren Anführer und versuchten, ihn ins Leben zurückzurufen.
     Hans nahm die Gratulation der Sebastianer entgegen. Cordula fiel ihm um den Hals und drückte ihm ihren endlosen Mund lange ins ganze Gesicht. Aber auch Marga ergriff seine Hand und wollte sie nicht mehr loslassen. Dieckow, dem diese Szene nicht recht geheuer gewesen sein mochte (so eine Rauferei konnte ja Weiterungen haben), drängte darauf, daß Hans das Lokal verlasse, bevor der Gegner sich wieder gesammelt habe, ein Denkzettel sei ihm verpaßt worden, er wisse nun, daß es auch im Sebastian Leute gebe, die ihn zu nehmen wüßten, das genüge. Überhaupt sei es inzwischen spät genug geworden. Cordula solle den Eindringlingen nachher die Tür weisen, es sei ratsam, das Feld zu räumen.
     Nur Relow widersetzte sich dem allgemeinen Aufbruch. Man dürfe den jungen Sebastianritter nicht um seine zweite Runde bringen! Aber er drang nicht durch. So ließ man denn Cordula und Mauthusius allein zurück. Mauthusius hatte sich angeboten, zu bleiben, bis die Burschen mit ihrem beschädigten Anführer das Lokal verlassen hätten. Daß sie gegen den ehrwürdigen Mauthusius und die auch schon fast ehrwürdige Cordula noch tätlich werden würden, war nicht zu fürchten. Hans war froh, als er sich in Relows Sportwagen wiederfand. Eng neben ihm saß Marga. Man wollte noch in eine Bar. Einige der Mädchen und Herren würden nachkommen.
     Und dann wurde Hans gefeiert. Alle sagten, einen solchen Einstand habe es im Sebastian noch nicht gegeben. Davon werde man noch lange sprechen. Hans war ein Held. Und Marga schmiegte sich an ihn, tanzte mit ihm und nahm ihn später mit.
     Hans hatte inzwischen die Augen seines Gegners vergessen, hatte vergessen, wer dieser Gegner gewesen war.
     Übriggeblieben war nur das Bewußtsein, eine Tat vollbracht zu haben. Und das war ein Rausch, der ihm zum erstenmal in seinem Leben zuteil wurde. Es gab keine Nacht in seinem Leben, die mit dieser vergleichbar war, keine Frau, die sich mit Marga messen konnte, keine hatte sich je so aufgeführt, ach Anne, sie war eine alte Jungfer, Marga aber… wenn bloß die Zukunft ausfallen würde, so wie ein Schultag ausfallen kann. Wie sollte er nach solchen Ereignissen noch weiteratmen in mühsam sich hinschleppenden Tagen, ausgetickt von kleinlichen Uhren! Und was noch Gegenwart war und nie enden sollte, zersprang ihm unter dem Geprassel der Sekunden, die, wie ein Fahrtwind bei rasender Geschwindigkeit, hereinstürmten in das schutzlose Zimmer, um es den fühllos prüfenden Händen eines neuen Tages auszuliefern.

    3

    Hans erwachte an einem Schlagzeugsolo. Marga saß auf dem Bettrand, war schon angekleidet, rauchte eine Zigarette und machte mit einem langen Zeigefinger: »Pst« und sagte: »Gene Krupa.« Dabei bog sie die Augenbrauen vor Andacht so hoch hinauf, daß die unter den unregelmäßig in die Stirn hängenden Haare verschwanden. Als eine Trompete das Orchester durchstieß und sich nicht mehr zu den anderen Instrumenten zurückfinden wollte, sagte
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