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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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die Hände bekommen werde. Meine Hände bleiben leer.

    Mich juckt’s in den Schamhaaren, oh, ich bin eine lächerliche Figur…

    Danach folgten nur noch Zahlen. Eintragungen des Datums. Manchmal mit dem Zusatz versehen: »Ich lebe immer noch.«
     Hans legte das Heft fast beruhigt aus der Hand. Er kam nicht vor in Klaffs Heft. Er hatte jetzt das Gefühl, als könne er seiner Schwierigkeiten leichter Herr werden. Den Rücken hatte er frei. Auf zu Anne. Sonst glaubte sie gar, er sei krank, und kam, um nach ihm zu sehen. Als er auf der Straße war, verließ ihn sein Mut sehr schnell. Das linke Knie schmerzte jetzt bei jedem Schritt. Wahrscheinlich von dem Sturz mit Hermann. An einer Telephonzelle blieb er stehen. Trat ein. Telephonieren ist einfacher, dachte er. Hoffentlich fängt sie nicht gleich wieder mit dem Hochzeitstermin an. Jedesmal, wenn er sie traf, empfing sie ihn entweder mit der Frage: »Wann heiraten wir?« oder sie sagte: »Du, ich hab’ jetzt vier Stunden gestrickt, in meinen Fingern klopft alles.«
     »Sie wird eine bessere Hausfrau als ich«, hat Frau Volkmann gesagt. Eigentlich war er mit Frau Volkmann per du, seit jener Sommerparty, sogar Doppeldu hatten sie gemacht, aber er brachte es nicht über sich, es wäre wie eine ekelhafte Berührung gewesen, überhaupt Berührungen mit Familie Volkmann, Marga dagegen, aber er würde Anne heiraten, Annes… er wußte keinen Namen dafür, Annes ist seit jener Geschichte runzelig geworden, eine Fülle hängender Lappen, wie eine im Regen alt gewordene Mohnblume, das wird wohl jeder so gehen, Marga auch, obwohl Marga… es kommt eben darauf an, wie eine ist, wie sie sich aufführt, das verliert sich nicht, mein Gott, damals nach der schlimmen Geschichte mit den Ärzten, da war er bei Anne wochenlang auf winzige Knöchelchen gestoßen, Gelenkpfännchen, so klein, daß man sie kaum sah, aber so spitz und hart, daß sie sich beide wundgekratzt hatten daran, zuerst waren sie schön erschrocken, er mehr als Anne, sie hatte die winzigen Überreste, die er zutage gefördert hatte, jedesmal sorgfältig gesammelt und hatte sie in ihrer Schmuckdose beigesetzt, ja, er durfte Anne nicht enttäuschen, sie hatte mehr für ihn getan als jede andere Frau, seine Mutter ausgenommen. Und der konnte er ja durch nichts eine größere Freude bereiten als durch eine Hochzeit mit Anne. Wenn er an seine Mutter dachte, wußte er wieder besser was er zu tun hatte. Sie hatte ja durch ihr Leben das seine schon längst entschieden. Wozu, wenn nicht, dem ihren einen Sinn geben, war er da? Also mußte sie verstehen können, was er tat. Als er ihr geschrieben hatte, wer Anne Volkmann sei und daß er diese Anne Volkmann einmal heiraten werde, da hatte sie zurückgeschrieben: jetzt sei sie froh.
     Selbst nach Philippsburg zu kommen, hatte sie bisher noch nicht über sich gebracht. Zweihundert Kilometer seien heutzutage doch keine Entfernung mehr, sagten Volkmanns. Man könne sie, wenn sie es wünsche, im Auto herholen. Hans wußte, wie weit es von Kümmertshausen nach Philippsburg war. So weit, daß man kaum mehr zurückkonnte, wenn man den Weg einmal hinter sich gebracht hatte. Aber spätestens an seinem Hochzeitstag würde auch seine Mutter diesen Weg zurücklegen müssen…
     Hans hob endlich den Hörer von der Gabel, warf das Geld ein und wählte. Annes hohe Stimme meldete sich. Sie und Papa hätten sich schon Sorgen gemacht. Sie sei auch schon in der Traubergstraße gewesen, wo er sich denn den ganzen Tag herumgetrieben habe? Hans stotterte ein paar Worte ins Telephon, fand aber dann ziemlich rasch eine gute Ausrede. Er habe in der Landesbibliothek gearbeitet, Anne wisse doch, daß er an einem Aufsatz über die »Väter des Hörspiels« arbeite, und da in der Redaktion zur Zeit wenig los sei, habe er die Gelegenheit ergriffen….
     Hans wunderte sich über seine eigene Fertigkeit und über die Ruhe, mit der er jetzt Sätze aus seinem Munde spulte, Sätze, in denen von Dingen die Rede war, von Terminen und Erlebnissen, die es nie gegeben hatte, die in dem Augenblick, als er sie aussprach, überhaupt erst entstanden. Natürlich schlug ihm das Blut im Hals, und die Hand, die den Hörer hielt, zitterte, aber dieser Aufruhr drang nicht bis in seine Stimme; seine Stimme war schon nach den ersten paar Sätzen glatt wie Lack, und sie erschuf eine schön glänzende, von keinem Makel verunzierte Wirklichkeit. Er mußte Anne allerdings versprechen, jetzt sofort und ohne Umwege in die Redaktion
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