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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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Vergangenheitsform behandelt zu werden, als Geschichte. Sie nannten sie ein Goldenes Zeitalter, eine nie da gewesene Blütezeit. Aber wenn man ein Teil von ihr war – und selbst wenn man, wie Loeser, ein Teil ihres Verfalls war –, konnte man nicht anders, man sagte sich: Tausende von jungen Menschen, alle in ein paar Stadtvierteln ganz in der Nähe, und alle nennen sie sich Künstler, ganz wie Rackenham gesagt hatte. Und all die freie Zeit. Und all diese Vernissagen und all diese Premieren und all diese Partys. Und all das Reden und Reden und Reden und Trinken und Reden. Fast fünfzehn Jahre lang. All das. Und was war dabei herausgekommen, wofür jemand in achtzig Jahren noch ein Flasche schlechten Riesling würde eintauschen wollen? Ein paar Theaterstücke, ein paar Gemälde, ein paar Klavierkonzerte – von denen die meisten an den Jungs und Mädchen, die so sehr damit angaben, mittenmang dabei zu sein, sowieso völlig vorbeigingen. Wenn das ein Goldenes Zeitalter war, mochte ein gerissener Investor sich überlegen, seinen Barren zu verkaufen, bevor der Wert noch weiter fiel. Es hatte nun schon so viele Goldene Zeitalter gegeben, und Loeser war überzeugt, dass sie alle gleich ausgesehen hatten und immer gleich aussehen würden. Verglich man das Venedig der Spätrenaissance, in dem Lavicini aufwuchs, mit dem Berlin der Weimarer Republik oder verglich man das Berlin der Weimarer Republik mit der Stadt, die im Jahr 2013 gerade groß in Mode sein würde, welche es auch immer sein mochte, so stieß man immer auf dieselben hohlen Menschen, die auf dieselben hohlen Partys gingen und dieselben hohlen Sprüche über dieselben hohlen Bemühungen losließen, und an den äußersten nackten Rändern gab es höchstens ein paar künstlerische Zuckungen, für die es sich lohnte. Nie änderte sich etwas. Das war Äquivalenz. Setzte man den Kurs auf ein anderes Land, eine andere Ära, konnte man höchstens hoffen, zufällig die Erdkugel zu umrunden und am anderen Ufer seines Heimatlandes anzukommen, seinen Zeppelin furchtsam in dessen sämigem Schlamm zu vertäuen und auf einen Volksstamm zu stoßen, den man nicht kannte, der eine Sprache sprach, die man nicht verstand. Falls Loeser seine Teleportationsvorrichtung je in Gang bekäme, würde sie die Schauspieler in zukünftigen Produktionen vielleicht nicht nur durch den Raum schleudern, sondern auch durch die Zeit.
    »Äquivalenz ist schön und gut«, sagte Rackenham. »Aber zumindest die politischen Verhältnisse müssen sich ändern. Und das muss einem revolutionären Dramatiker doch etwas bedeuten!«
    »Du liebe Güte, kommen Sie mir doch nicht mit Politik«, sagte Loeser. »Anton, wie viele Regierungen hatten wir in den dreizehn Jahren seit dem Krieg?«
    »Fünfzehn?«, riet Achleitner. »Siebzehn?«
    »Genau. Und da sollen wir mit angehaltenem Atem auf die nächste Wendung der Geschichte ins Nirgendwo warten? Politik ist Pferdescheiße. Hindenburg, MacDonald und Ludwig XIV . sind auch nur Menschen. Ich wette mit Ihnen, worum Sie wollen, dass … Du liest doch noch Zeitung, Anton: Sag mir jemanden, um den gerade viel Geschrei gemacht wird.«
    »Hitler.«
    »Ich wette mit Ihnen, worum Sie wollen … wie bitte, Hitler? Meinst du Adeles Vater?«
    »Weder verwandt noch verschwägert.«
    »Ach so. Wie gesagt, ich wette mit Ihnen, worum Sie wollen, dass dieser andere Hitler, wer immer das ist, in meinem Leben nie eine Rolle spielen wird.«
    »Vorsicht, Egon«, sagte Achleitner. »Das ist die Art Bemerkung, die Menschen später in ihren Memoiren als tolles Beispiel für die Ironie der Geschichte zitieren.«
    »Was ist mit der Inflation?«, sagte Rackenham. »Das war die Schuld der Politik. Und Sie können kaum behaupten, es habe nicht in Ihr Leben eingegriffen.«
    »Doch, das kann er«, sagte Achleitner. »Er ist ein Sonderfall. Seine Eltern waren Psychiater, und die meisten ihrer Patienten haben in Schweizer Franken oder US -Dollar bezahlt. Für die Familie Loeser hat die Inflation sich gelohnt. Deshalb ist er so ein verhätscheltes kleines Bübchen. Er hat keinen Kuchen aus Schimmelpilzen gegessen wie wir anderen.«
    »Anton hat teilweise recht«, sagte Loeser, »aber er versäumt zu erwähnen, dass meine Eltern dann beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Womit alle egalitären Schuldgefühle, die ich sonst vielleicht empfunden hätte, ausgelöscht wurden.«
    »Das tut mir sehr leid«, sagte Rackenham.
    »Ja, ich denke oft an sie.«
    »Nein, ich meine, es tut mir
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