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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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wollten. Sie wollten dich unbedingt wissen lassen, dass Sex natürlich war, dass Sex Spaß machen sollte und jeder das Recht auf ein erfüllendes Sexualleben habe. Mit den ersten beiden Behauptungen stimmte Loeser im Allgemeinen überein, und auch der dritten stimmte er prinzipiell zu, aber in Betrachtung seiner gegenwärtigen Lage erschien ihm die Errichtung eines weltweiten marxistischen Arbeiterparadieses ein maßvolles und erreichbares Ziel im Vergleich zu der geradezu lächerlich optimistischen Vision einer Welt, in der er, Egon Loeser, ab und zu tatsächlich in die Nähe einer nicht-käuflichen Vulva kam. Diese wohlmeinenden Experten schienen aufrichtig zu glauben, dass die Menschen, sobald man ihnen sagte, dass sie Sex haben sollten, einfach anfangen würden, Sex zu haben, als stünde ganztägigen erotischen Festivitäten nichts anderes im Wege als moralische Bedenken. »Na, schönen Dank auch«, wollte Loeser ihnen sagen. »Wirklich eine große Hilfe. Ich sollte also immerzu ganz tollen Sex haben? Darauf wäre ich von selbst nie gekommen. Jetzt, da Ihre erbaulichen Worte mich befreit haben, werde ich losziehen und mich sofort in den Genuss von ganz tollem Sex bringen.«
    Dann wiederum ließ sich aus diesem Unsinn manchmal Vorteil schlagen. Offenbar hatte es in den frühen Zwanzigern einmal eine halkyonische Zeit gegeben, während derer man ein unwilliges Mädchen sofort ins Bett bekam, wenn man es davon überzeugte, dass es verklemmt und politisch rückständig war, ganz ähnlich wie man jemanden vollnörgeln konnte, bis er in eine Streikkasse einzahlte. Fortschrittliche Denker aller Arten ließen sich zu diesem Zweck zitieren, teils in ganzen Kapiteln oder Absätzen. Aber als Loeser alt genug war, um diesen Trick einzusetzen, hatte er seine Wirkung schon lange verloren.
    Loeser fühlte sich besonders deshalb vom Pech verfolgt, weil er sich als junger Aufsteiger in der experimentellen Berliner Theaterszene in den vielleicht promiskuitivsten Kreisen der vielleicht promiskuitivsten Stadt Europas bewegte. Hätte er, sagen wir, in einem Dorf vor den Toren von Delft gelebt, wäre der Kontrast vielleicht nicht so qualvoll gewesen. Halb beneidete er Lavicini, der zermalmt worden war, bevor Venedig zwanzig Jahre später in sein Jahrhundert des totalen Karnevalwahnsinns eintrat. Loeser verabscheute Politik, aber er wusste, dass es Politiker zuhauf gab, die Deutschlands Abstieg in die Libertinage aufhalten wollten, und er wünschte ihnen viel Glück. Ein bisschen gute alte sexuelle Verklemmung konnte seine Lage vergleichsweise nur verbessern. Früher, in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum Beispiel, wäre er nicht annähernd so frustriert gewesen, weil er keinen Sex hatte, weil sonst auch niemand Sex hatte – nach dem gleichen Prinzip, das sie jetzt in Russland auf Kartoffeln und Elektrizität und so weiter anwandten. Vor dem Weltkrieg wussten die Frauen, dass ihre lieben Papis jahrelang gespart hatten, um sie unter die Haube zu bekommen, sie wollten also, dass ihre Hochzeitsnacht etwas bedeutete. Aber da die Inflation alle Mitgiften in Luft aufgelöst hatte, wurde den Frauen klar, dass sie sich genauso gut auch amüsieren konnten. Das war jedenfalls Loesers Theorie.
    »Wann war denn das letzte Mal?«
    »Am Tag, als ich mich von Marlene getrennt habe.«
    »Bevor du es ihr gesagt hast oder danach?
    »Kurz davor.« Dieser letzte strategische Genuss war für Loeser besonders schön gewesen, weil er endlich einmal das Gefühl hatte, Marlene keinen Orgasmus verschaffen zu müssen. Was normalerweise nur auf eine einzige vertrackte Weise möglich war: Loeser saß im Bett, an die Wand gelehnt wie ein Kriegsversehrter, der sein Frühstück bekommt, und Marlene setzte sich rittlings auf ihn; sie bewegten sich vor und zurück, und dann streckte Loeser ihr gleichzeitig die Zunge tief ins Ohr und schob eine Hand zwischen ihre aneinanderstoßenden Bäuche, um – nun, manchmal träumte er danach, er wäre ein Tierarzt in Handschellen, der das winzig kleine Kalb einer winzig kleinen Kuh zur Welt bringen muss. Bei Marlene war die Prozedur unglaublich diffizil, es dauerte so lange, dass ihm die Fingerspitzen in Falten lagen, und am Ende waren die Krämpfe in Handgelenk und Unterarm so schlimm, dass er kaum noch die Geduld aufbrachte, sich irgendeinem anderen Körperglied zu widmen. Aber solange sie zusammen gewesen waren, hatte er diese kleine Pflicht meist gern erfüllt, weil sie in allen anderen Kategorien eine so
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