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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Erster Teil
Geschichte des Werkes
    Ein schwerer bleierner Sargdeckel wurde gesprengt, und eine reiche Fülle gebundener geistigen Energie, die sich seit langem gesammelt hatte und der Entladung zudrängte, wurde frei. Mit seiner ungebändigten Überkraft und seinem ungeberdigen Wollen hatte einer die intellektuelle Kapazität großer Völker in den engen Pferch des Sarges gepreßt und achtete nicht des dumpfdröhnenden Grollens, das immer wieder aus dem Sarginnern herauftönte. Denn der eine wußte nur zu gut, daß er vom Wüten des Geistes, den er in starre Fesseln geschlagen hatte, so gut wie nichts befürchten müsse, daß ihn nur rohe physische Gewalt verderben könne.
    Ihr erlag er endlich. Und nun schlug auch für den lebendig Eingemauerten die Befreiungsstunde. Voll ewiger Jugend und Tatkraft, der selbst die vieljährige Einkerkerung nichts hatte anhaben können, entfloh er seiner engen Haft und stürmte in das neugefundene Leben hinaus. –
    Von Waterloo und der Beseitigung des geistigen Despotismus, den Napoleon Europa als schlimmste Kontribution auferlegt hatte, und der mit des Korsen Sturze zusammenbrach, ist die Rede. Man feiert Wellingtons und Blüchers Sieg immer nur als politisches Ereignis, womit dessen historische Bedeutung gewiß nicht unterschätzt ist. Aber man sollte nicht übersehen, von welchen nachhaltigen Folgen die Überwindung des Unüberwindlichen für das Wiedererwachen aller erstarrten schönwissenschaftlichen Bestrebungen der Nationen begleitet war. Am sichtlichsten zunächst vielleicht nur in Frankreich, dann aber im übrigen Europa. Alle solange gehemmt gewesenen künstlerischen Regungen brachen sich Bahn und forderten Daseinsberechtigung für sich. Nun konnte man aber auch daran denken, alles morsch und überlebt Gewordene über Bord zu werfen und neue Formen und Gestalten erstehen zu lassen.
    Die Invasion der »Vandalen« habe nach Napoleons Sturze in Frankreich begonnen, riefen damals die intellektuellen Konservativen, die nur übersahen, daß von diesen »Vandalen« Frankreich seine neue Kritik, seine neue Philosophie, seine neue Dichtkunst bekommen habe.
    Goethe und Schiller erschienen jetzt in der französischen Hauptstadt, geführt von der feinsten Geistigkeit des neueren Frankreich, der Frau von Staël. Sie setzte den drei Klassikern der französischen Bühne Lorbeerkränze auf und schickte sie dann über die Grenze. Und nun begann die Fehde zwischen Klassik und Romantik. Lamartine gab seine »Méditations« . Mit Staunen sah man zu seiner Poesie auf, die kühn und gewaltig in düsterer Majestät himmelanstrebte, von wundersamen Melodien ertönend wie eine gotische Kathedrale, in der alle Glocken durch den stillen Abend läuten. Dann erschien »Éloa« von Alfred de Vigny, ein Gedicht voll schauerlicher Anmut wie die Morgenröte in den Flammen eines Gewitters. Hierauf kamen die »Odes et ballades« von Victor Hugo, die »Poësies« von J. Delorme, »Henri III.« von Dumas und endlich »Hernani«. Es war eine völlige Revolution im Reiche des Schönen. Der Spiritualismus wehte wie ein geistiger Frühling über dem alten Paris, in dem es glühte und grünte und blühte und sang, wie nie zuvor. Das kritische Gerüste der alten Schule stürzte zusammen, die Fesseln der drei Einheiten wurden gesprengt, der Alexandriner stieg von seiner Rosinante und schnallte die klassische Rüstung ab, bewegte sich leicht und behend und änderte die Tracht, je nachdem es Zeit und Sitte geboten. Mit der regelrechten Literatur war es vorbei. Vom Publikum und vom »Globe« aus dem Felde geschlagen, von den kleinen Blättern gehöhnt, vom »Théâtre français« verwünscht, das sich an ihren Trauerspielen arm gespielt, suchten die Klassiker Schutz bei der Regierung, die den Romantikern das Nationaltheater verbieten sollte. Ein solches Gelächter hatte Paris noch nicht gehört, und das Verbot wurde nicht erlassen. «Hernani« wurde in der comédie française aufgeführt, unter dem ungeheueren Beifalls- und Mißfallens-Tumulte. Es war die Schlacht zwischen Vandalen und Perücken – die Vandalen siegten. Aber jeden Abend wurde dieser Kampf erneuert. Bei »Lucrezia Borgia« und »Maria Tudor« dieselben Skandale. Es fehlte nicht viel, und Victor Hugo wäre geprügelt worden. Shakespeare und Schiller wurden angeklagt, daß sie den jungen Leuten die Köpfe verdrehten. Der »Constitutionnel« erhob täglich, von englischen Blättern ( Edinbourgh review, New-Monthly-Magazin, theatrical Magazin )
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