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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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freilich, namentlich in der fast anatomischen Auseinanderlegung der weiblichen Charaktere zeigt sich schon in diesem Roman die Kunst Balzacs, die er später bis zur höchsten Meisterschaft emportrieb. –
    Hatte er mit den scottisierenden »Schleichhändlern« das Publikum einmal für sich eingenommen, so durfte er es wagen, da sein Name nunmehr genügend Zugkraft ausübte, auch mit einem Produkte hervorzutreten, in dem er ganz er selbst war, in dem seine Gedanken und Einfälle, seine Psychoanalysen und -synthesen zum Ausdrucke kamen. In der » Physiologie der Ehe «, die den »Schleichhändlern « noch in demselben Jahre folgte, ist Balzac der »Alchimist des Gedankens«, als den ihn Sainte-Beuve glücklich charakterisiert hat. Schon aus diesem Frühwerke spricht der unerbittliche Gesellschaftskritiker zu dem Leser; die wichtigsten Erkenntnisse hat er seiner Zeit abgelauscht, die zwischen der Vertreibung und Wiedereinsetzung der Bourbonen die bedeutendsten sozialen Institutionen, vornehmlich die Ehe, tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, die das Familienleben auf andere ethische Grundlagen gestellt und namentlich den Frauen zu einer selbständigeren Stellung verholfen hatte. Das alles verlangte Darstellung in der Dichtung, und Balzac ging an dieser Forderung der Zeit nicht achtlos vorüber. In der »Physiologie der Ehe« ist sein Realismus bereits zu unheimlicher Größe angewachsen; mag man den Autor einseitig nennen wegen der Art, wie er immer nur eine bestimmte Spezies des weiblichen Geschlechts vor Augen hat, ein tiefer Seher und Erkenner ist er in diesem Buche, und seiner Zeit hat er alle die oft erschütternden Reflexionen über eheliche Verderbnis sicher abgelauscht. Es ist eine tiefe Kluft zwischen den »Chouans«, deren Heldin eine moralisierende Courtisane ist, und der »Ehephysiologie«, deren Verfasser durchaus triebhafte und zynische Frauen vor Augen hat.
    Aber das Publikum übersprang diese Kluft mit Leichtigkeit und folgte dem jungen Dichter nun. wohin er es führte. Noch mutete ihm Balzac, nachdem er sich in den Sarkasmen der »Physiologie der Ehe« das Herz ein wenig erleichtert hatte, nicht gleich zu, alles mit einem Schlage zu vergessen, was es bisher angebetet hatte. In den Erzählungen, die er unter dem Titel »Scènes de la vie privée« 1830 veröffentlichte und später in dem großen Rahmen seiner »Comédie humaine« unter dieselbe Rubrik zum Teile aufnahm, ist er noch nicht der schrankenlose Realist, wie er später etwa in »Eugenie Grandet« oder »Vater Goriot« zu erkennen ist. Zwar schwingt er auch schon in diesen Erzählungen mit Geschick das geistige Seziermesser des analysierenden Psychologen, der nichts anderes will, als das menschliche Herz in allen seinen Teilen bloßzulegen und dessen Schläge zu erklären. Aber diese ersten Geschichten – von den mit dem Hauptwerke unzusammenhängenden, posthum herausgegebenen »Oevres de Jeunesse« wird abgesehen – sind noch die wenigen lichten Punkte auf dem trostlos trüben Firmamente, das Balzac über seiner »Comédie humaine« ausspannte, und das ein Abbild der Trostlosigkeit war, die über dem Frankreich der Dreißigerjahre schwebte. Noch war Balzac kein unerbittlicher Sittenschilderer, dessen alleinige Absicht es ist, den Leser nur alle Schauer des Entsetzens fühlen zu lassen und ihn dann in diesem Zustande sich selbst preiszugeben. Ein paar versöhnliche Momente stecken gewiß noch in diesen Erzählungen, und Gestalten, die noch nicht halbe Götter und halbe Bestien sind, sondern denen menschliche Instinkte eigen sind, bevölkern sie.
    Anders wurde Balzac, als diese Novellen ihm bewiesen, wie fest er bereits in der Gunst der Leser sitze. Nun konnte er seinen Meisterschuß abgeben und » Das Chagrinleder « erscheinen lassen (1831), das machtvoll die neue poetische Doktrin in Frankreich zur Geltung brachte. Hierin hat er seine dichterische Natur völlig hemmungslos hervorgekehrt und gezeigt, welche ethische Skepsis und welcher moralische Pessimismus die Grundelemente seines Wesens bilden.
    »Das Chagrinleder« variiert das alte Märchenmotiv, daß unbesonnenes Wünschen zum Unheile ausschlagen müsse. Am bekanntesten ist die Fassung der Brüder Grimm in den »Drei Wünschen«; hier heben sich aber Leid und Freud, die man sich erbeten hat, am Schlusse auf, und als Resultat ergibt sich weder ein Gewinn, noch ein Verlust für den, der durch bloßes Wünscheaussprechen das Schicksal zu zwingen hoffte. So harmlos endet die
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