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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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neben deine Telefonnummer auf die Serviette geschrieben.«
    »Rupert Rackenham. Und der Genauigkeit halber, ich komme eigentlich aus Devon. Haben Sie sich geprügelt?«, fragte er Loeser.
    »So in der Art.«
    »Wir haben uns gefragt, ob du wohl noch etwas von dem Koks hast«, sagte Achleitner.
    »Einen ganz schönen Vorrat, ja«, sagte Rackenham. Sein Deutsch war nicht schlecht.
    »Können wir Ihnen etwas abkaufen?«, sagte Loeser. »Wir gehen noch auf eine Party, und anders können wir die Gesellschaft unserer Freunde nicht ertragen.«
    »Was für eine Party?«
    »In einer alten Korsettfabrik oben in Puppenberg«, sagte Achleitner. Seit Kurzem hatte alle Welt einen Fimmel für solche Feste: in leer stehenden Ballsälen, bankrotten Sarglagern, abrissreifen Turnhallen. Loeser fand, wenn ein Ort aufgegeben wurde, dann gab es dafür wahrscheinlich Gründe, und ihn mutwillig wiederzubeleben, war wider die Natur.
    »Nun, da wir jetzt gute Freunde sind, gebe ich euch beiden ein paar Linien als Geschenk. Und ihr wärt dann vielleicht so freundlich, mich auf diese Party mitzunehmen und mich einigen dieser unerträglichen Freunde vorzustellen, von denen ihr gesprochen habt.«
    »Wie viele Linien?«
    »Sagen wir, ein ganzes Liniennetz.«
    Achleitner zuckte mit den Schultern, was Loeser seinerseits mit einem Schulterzucken beantwortete. Also sagte Achleitner: »Ist gut. Wenn wir erst einmal dort sind, hast du den Rest deines Vorrats bestimmt in einer halben Minute verkauft.«
    »Ausgezeichnet. Ich gehe nach oben und hole meine Kamera.« Er war wohlerzogen, ironisch, sehr britisch, schneidend und freundlich distanziert zugleich, wie einer, der auf Hochzeiten immer die Wette gewann, wie lange die Ehe halten würde, sich aber nie die Mühe machte, das Geld einzutreiben.
    »Wir suchen ein Taxi.«
    Als er wieder herunterkam, hatte Rackenham eine Leica um den Hals hängen. Er schoss ein Foto von Loeser und Achleitner, und dann setzte das Taxi sich in Richtung Puppenberg in Bewegung. An der Ecke fütterte ein Kutscher seinen Gaul aus einer großen Kohlenschütte, Tauben pickten widerwillig an dem Hafer herum, der auf die Straße gefallen war, als hätten sie eigentlich eher Appetit auf ein paar Bissen frischen Pferdebratens.
    »Sie sind vermutlich Künstler, Herr Loeser?«, sagte Rackenham.
    »Warum vermuten Sie das?«
    »Weil mir in Berlin noch nie jemand begegnet ist, der kein Künstler war. Seiner eigenen Einschätzung nach zumindest.«
    Loeser musste daran denken, was er auf der Schauspielerparty mitgehört hatte. »Ja, wirklich grässlich, aber wie Sie ganz richtig mutmaßen, trage ich leider selbst dazu bei. Ich bin Bühnenbildner. Ich bin vor allem am Allientheater beschäftigt.«
    »Woran arbeiten Sie gerade?«
    »Augenblicklich an gar nichts. Wir beginnen gerade mit einem neuen Projekt.« Loeser gab Rackenham einen Abriss von Lavicini in seiner gegenwärtigen Gestalt. Es verunsicherte ihn ein wenig, in Hörweite von Taxifahrern über seine Arbeit zu sprechen.
    »Ein Historiendrama also? Sie nehmen mir das hoffentlich nicht übel, Herr Loeser, aber mit Historiendramen habe ich noch nie etwas anfangen können. Mit Historienromanen auch nicht, da wir gerade dabei sind. Ich wollte selbst einmal so einen Roman schreiben, aber dann habe ich mich gefragt, warum das Publikum überhaupt Geduld aufbringen sollte für einen jungen Mann, der so arrogant ist zu glauben, er habe etwas Neues über eine Epoche zu sagen, die er einzig und allein aus Geschichtsbüchern kennt, die er in der Eisenbahn durchgeblättert hat. Also halte ich mich an die Gegenwart. Ich glaube wirklich, es ist die Gegenwart, die unsere Aufmerksamkeit verdient.«
    »Damit haben Sie mich zufällig auf eines der großen Themen des Theaters des Neuen Expressionismus gebracht«, sagte Loeser. Und er erläuterte den Begriff der Äquivalenz. Jawohl, wann immer man mit einem Stück oder einem Roman begann, war eine Entscheidung zu treffen: Setzte man den Kurs seines Zeppelins auf das Berlin von heute oder das Paris des 17. Jahrhunderts, auf ein London der Zukunft oder einen völlig anderen Ort? Aber die Entscheidung war ohne Bedeutung. Nehmen wir Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik im Jahr 1931. Dreizehn Jahre waren seit ihrer Gründung vergangen, fünf Jahre seit ihrem anerkannten Höhepunkt und zwei Jahre, seit es wenigstens noch gutes Koks gab – mit anderen Worten, es handelte sich um eine Kultur, die alt genug war, um von den Journalisten schon in der
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