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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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hervorragende Liebhaberin war. »Also vor drei Wochen«, sagte er zu Achleitner.
    »Vor drei Wochen? Du hast schon längere Phasen als drei Wochen gehabt.«
    »Natürlich habe ich längere Phasen als drei Wochen gehabt. Ich kann mich erinnern, dass es einmal neunzehn Jahre waren.«
    »Was beklagst du dich dann?«
    »Wenn meine Einheit in den Bergen festsitzt und die Verpflegung gerade ausgegangen ist, darf ich mir erst Sorgen machen, wenn wir wirklich hungern?«
    »Bald wirst du dich wahrscheinlich auf Kannibalismus verlegen.«
    »Auf Kannibalismus habe ich mich eines Nachmittags im Jahr 1921 verlegt, Anton, und ich habe kaum je wieder damit aufgehört. Die Sache ist die, es könnte noch sechs Monate dauern, bis die Versorgung auch nur ansatzweise wiederhergestellt ist. Es könnte ein Jahr dauern. Oder wer weiß? Vielleicht werde ich nie wieder Sex haben, ohne dafür zu bezahlen. Nie. Könnte doch sein.«
    »Du wirst schon eine finden.«
    »Das ist eine Wahrscheinlichkeitshypothese, die jeder Grundlage entbehrt und die daher wertlos ist. Ich dachte, du wärest zu klug, um mich trösten zu wollen. Es gibt nichts Ekelhafteres als Trost.«
    »Wenn du den ganzen Abend so weitermachst, brauche ich auch Koks. Wenn du es dir doch nur nicht mit Klugweil verdorben hättest!«
    Und Littau war in München, und Tetzner schuldeten sie beide Geld, und die Klofrau im Borchardt würde ihnen gemahlenes Aspirin verkaufen. »Was ist mit der aus der Lila Tür?«, sagte Achleitner schließlich. »Der ohne Ohren?«
    »Noch schlimmer – ich weiß nicht, was sie uns verkauft hat, aber auf dem Weg zurück zu Brogmann hätte ich mir fast in die Hosen gemacht. Ich habe es satt, bei Fremden zu kaufen. Komm schon, dir muss doch jemand einfallen. Ihr Typen« – womit Loeser Homosexuelle meinte – »kennt doch immer doppelt so viele Leute für so was.«
    »Danke für dein Vertrauen, aber ich glaube, in diesem Fall kann ich nicht helfen. Ach, obwohl – der Engländer von gestern Abend hatte tolles Zeug dabei.«
    »Welcher Engländer?«
    »Dieser aufstrebende junge Schriftsteller aus London. Habe ihn in der Eden-Bar kennengelernt. Mit einem Schwanz wie einer dieser altnordischen Riesen aus Wagners Ring .«
    »Können wir den auftreiben?«
    »Ich glaube, ich habe die Nummer seiner Pension.«
    Loeser seufzte. »Hör mal, Anton, so sehr ich auch die Erinnerung an die vielen, vielen Abende unserer Jugend in Ehren halte, die wir damit vergeudet haben, Berlin vergeblich nach den passenden Drogen abzugrasen, ich glaube, heute Abend ist mir einfach nicht danach. Und außerdem muss meine Nasenscheidewand sich erst wieder erholen.«
    »Aber wir müssen auf diese Party! Ich habe gehört, dass Brecht da ist!«
    »Oh, ha, ha.« Es gab niemanden in Berlin, den Loeser mehr verabscheute als Bertolt Brecht, und nichts an Berliner Theaterpartys, was er mehr verabscheute als den allgegenwärtigen Ausruf: »Ich habe gehört, dass Brecht da ist!«
    »Und Adele Hitler auch.«
    »Wie bitte?«
    »Sie ist offenbar aus der Schweiz zurück.«
    Adele Hitler war ein pausenlos kicherndes Schulmädchen aus reicher Familie, dem Loeser zwei lukrative Jahre lang Lyriknachhilfe erteilt hatte, bevor es verschwunden war, um seinen Abschluss zu machen. »Na und? Auf der Straße würde ich kurz anhalten und mit ihr plaudern, aber ich werde nicht auf diese Party gehen, nur um mir alles über die Neuzugänge in ihrer Puppensammlung erzählen zu lassen.«
    »Sie ist achtzehn geworden«, sagte Achleitner und hob eine Augenbraue.
    »Was willst du damit sagen? Ich werde wohl kaum versuchen, sie ins Bett zu bekommen.«
    »Pädagogisches Ethos?«
    »Keine Spur, aber sie war ein absurd dickes kleines Ding.«
    »Es heißt, sie hat sich sehr verändert. Hässliches Entlein und so.«
    Loeser überlegte es sich. »Ich hatte zugegebenermaßen immer das Gefühl, dass sie ein bisschen in mich verschossen war.« Er trank aus. »Also gut, würdeloser als jetzt kann es ohnehin nicht mehr werden. Gehen wir deinen wagnerianischen Galan suchen.«
    Eine Stunde später trafen sie den Engländer vor seiner Pension in der Königslandstraße. Der Abend war stürmisch, und ein buckliger Luftballonverkäufer mit zwei Dutzend roten Ballons stemmte sich gegen den Wind wie ein Zeppelinzüchter, der einen ganzen Wurf aufgeregter Welpen ausführte.
    »Ich würde euch gern bekannt machen«, sagte Achleitner und nickte dem Engländer zu, »aber ich fürchte, ich habe nur ›London, blond, unvergleichliches Gehänge‹
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