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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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statt ihr Raum zu geben.
    Und außerdem hatte Lavicini den Teufel mit weit kühneren Pinselstrichen an die Wand gemalt, als Loeser es je gekonnt hätte. Damals, anno 1679, war der Teleportationsvorrichtung kein Testlauf vergönnt gewesen. Wie eine Belagerungswaffe war sie unter völliger Geheimhaltung gebaut worden. Kein Bühnenarbeiter hatte mehr zu Gesicht bekommen als ein kleines Puzzlestück der Pläne. Nicht einmal Auguste de Gorge, dem herrschsüchtigen Besitzer des Théâtre des Encornets, war ein verstohlener Blick darauf erlaubt gewesen, und noch bei der Generalprobe für Montands neues Ballett Der Echsenprinz war die Maschine nicht in Betrieb genommen worden, damit weder die Tänzer noch ihr Choreograf ahnen konnten, was sie bei der Premiere erwartete. Aber Lavicini beharrte darauf, die Teleportationsvorrichtung arbeite so präzise, dass das nichts ausmache, und das Wichtigste sei, dass keine Gerüchte über ihre Eigenschaften gestreut würden.
    Der Vergleich mit einer Belagerungswaffe war hier besonders treffend, wie Loeser fand, denn im 17. Jahrhundert glich der Kampf um die Vorherrschaft zwischen den großen Theatern und Opernhäusern der Christenheit wahrlich einem Wettrüsten. Für die Herrscherfamilie einer großen italienischen Stadt wäre es eine politische Katastrophe gewesen, ins Hintertreffen zu geraten, und selbst in Paris war der Konkurrenzkampf erbittert, weshalb ein Bühnenbildner wie Lavicini, der tatsächlich einmal einen Posten im Arsenal von Venedig innegehabt hatte, mit ähnlich strengen Vertragsbedingungen rechnen durfte wie ein Biowaffenexperte des 20. Jahrhunderts. (Natürlich war sein Salär hoch genug, das wieder wettzumachen.) In jener Zeit erwartete das Publikum von Sphinxen gezogene Streitwagen, in der Luft tanzende Götter, Löwen, die sich in Mädchen verwandelten, Kometen, die Stadtmauern zerstörten – wobei sich die richtig guten Sachen ungefähr zur Halbzeit ereigneten, weil man sich während des ersten Aktes noch auf dem Weg ins Theater befand und während des fünften schon den Hut vor einer Schale Austern zog. Ein typisches gedrucktes Libretto konnte eine Liste aller neunzehn Apparaturen enthalten, die im Laufe der Aufführung in Bewegung gesetzt wurden, ohne den Komponisten zu erwähnen. Die Impresarios gingen dutzendweise pleite und aufgeklärte Kritiker klagten, dieser Obsession mit dem »Zauberhaften« seien hohe Werte der dramatischen Kunst geopfert worden, womit sie eine Debatte fortführten, die mit der Reformation begonnen hatte und vermutlich andauern würde, bis Hollywood in die San-Andreas-Spalte stürzte.
    Also hatte Lavicinis Arbeitgeber Verständnis dafür, dass jener das Geheimnis der Teleportationsvorrichtung hüten wollte. Trotzdem dürfte selbst de Gorge, der einst einen Mann erdrosselt hatte, während er einen Liebesbrief diktierte, ein klein wenig nervös gewesen sein, als sich die gesamte juwelenbehängte gute Gesellschaft von Paris – als Letzte trafen Ludwig XIV . und seine Königin ein – zur Premiere von Der Echsenprinz im Théâtre des Encornets versammelte und einander mit so abgezirkelten und pompösen Handküssen begrüßte, als wäre jeder einzelne eine eigene kleine Ballettaufführung. Zum zehntausendsten Mal musste er sich ins Gedächtnis gerufen haben, was sein Ziehvater Lunaire ihn einst gelehrt hatte: Als Impresario darfst du nicht glauben, irgendetwas mit dem Stück zu tun zu haben. Du kannst keinen Erfolg herbeizaubern. Deine Aufgabe ist es, Karten zu verkaufen, sonst nichts. Und wenn du dabei dein Bestes gegeben hast, hatte Lunaire gesagt, dann kannst du nur noch beten, dass im Publikum niemand mit einem Hund auftaucht, der größer ist als ein Kind, oder mit einer Pistole, die größer ist als der Hammer eines Polsterers. Aber das alles ohne eine Probe für die neue Maschine – das hieß wirklich das Schicksal herausfordern.
    Loesers Teleportationsvorrichtung dagegen sollte nun im kleinen Allientheater in Berlin nur zwei anderen Menschen vorgeführt werden: Adolf Klugweil, dem prospektiven Star von Lavicini , und Immanuel Blumstein, dem prospektiven Autor und Regisseur. Letzterer war mit seinen vierzig Jahren alt genug, um zu den Gründungsmitgliedern der berühmten Novembergruppe zu gehören, was ihn vor seinen beiden jüngeren Kollegen wirklich ziemlich alt aussehen ließ. Hinter seinem Rücken machten sie sich über seinen Kahlkopf lustig, über seine Sehnsucht nach der Vergangenheit und seine Angewohnheit, sich jedes Mal,
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