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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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Flügel trat ein anderer Mann schweigend einen Schritt vor. Potaschnikow kannte ihn, das war Grigorjew.
    »Na«, der Mann mit der Rentierfellmütze drehte sich zum Brigadier, »du bist eine Schlafmütze und ein Dreck. Leute, kommt mit mir.«
    Potaschnikow und Grigorjew trotteten hinter dem Mann mit der Rentierfellmütze her. Er blieb stehen.
    »Wenn wir weiter so gehen«, sagte er heiser, »sind wir bis zum Mittagessen nicht da. Paßt auf. Ich gehe vor, und ihr kommt in die Tischlerei zum Einsatzleiter Sergejew. Wißt ihr, wo die Tischlerei ist?«
    »Ja, ja«, rief Grigorjew »Geben Sie uns bitte etwas zu rauchen.«
    »Die alte Leier«, murmelte der Mann mit der Rentierfellmütze zwischen den Zähnen und zog, ohne die Packung aus der Tasche zu nehmen, zwei Papirossy heraus.
    Potaschnikow ging vorneweg und dachte angestrengt nach. Heute wird er in der Wärme der Tischlerei sein — ein Beil schärfen und einen Axtstiel herstellen. Und die Säge schärfen. Er braucht sich nicht zu beeilen. Bis zum Mittagessen werden sie ihr Werkzeug bekommen, es eintragen lassen, den Gerätewart suchen. Und heute gegen Abend, wenn klar sein wird, daß er keinen Axtstiel herstellen und die Säge nicht schränken kann, wird man ihn rauswerfen, und morgen wird er in die Brigade zurückkehren. Aber heute wird er es warm haben. Und vielleicht wird er auch morgen und übermorgen Zimmermann sein, falls Grigorjew einer ist. Er wird Grigorjews Gehilfe sein. Der Winter geht schon zu Ende. Den Sommer, den kurzen Sommer wird er irgendwie überleben.
    Potaschnikow blieb stehen und wartete auf Grigorjew.
    »Kannst du das... zimmern?«, sagte er, keuchend vor plötzlicher Hoffnung.
    »Weißt du«, sagte Grigorjew fröhlich, »ich bin Aspirant am Moskauer Philologischen Institut. Ich denke, jeder Mensch mit Hochschulbildung, um so mehr einer geisteswissenschaftlichen, muß einen Axtstiel behauen und eine Säge schränken können. Erst recht, wenn das an einem brennenden Ofen geschehen soll.«
    »Das heißt, du bist auch...«
    »Gar nichts heißt das. Für zwei Tage täuschen wir sie, und dann — was interessiert dich, was dann ist.«
    »Wir täuschen sie für einen Tag. Morgen schicken sie uns zurück in die Brigade.«
    »Nein. An einem Tag schaffen sie es nicht, uns für die Tischlerei zu registrieren. Sie müssen ja Angaben und Listen einreichen. Und uns dann wieder streichen...«
    Die Tür war festgefroren und ließ sich auch zu zweit nur mit Mühe öffnen. Mitten in der Tischlerei stand ein rotglühender Eisenofen, und die fünf Tischler arbeiteten an ihren Werkbänken ohne Westen und Mützen. Die Ankömmlinge fielen auf die Knie vor der offenen Ofentür, vor dem Gott des Feuers, einem der ersten Götter der Menschheit. Sie zogen die Handschuhe aus und streckten die Hände in die Wärme, hielten sie direkt ins Feuer. Die viele Male erfrorenen Finger, die ihre Empfindlichkeit verloren hatten, fühlten die Wärme nicht sofort. Nach einer Minute nahmen Grigorjew und Potaschnikow die Mützen ab und knöpften die Steppjacken auf, ohne sich von den Knien zu erheben.
    »Was wollt ihr?«, fragte ein Tischler unfreundlich.
    »Wir sind Zimmerleute. Wir werden hier arbeiten«, sagte Grigorjew.
    »Auf Anweisung von Alexander Jewgenjewitsch«, setzte Potaschnikow eilig hinzu.
    »Dann hat der Einsatzleiter euch gemeint, denen wir Äxte ausgeben sollen«, sagte Arnschtrem, ein alter Werkzeugmacher, der in der Ecke Schaufelstiele hobelte.
    »Ja ja, uns...«
    »Hier«, sagte Arnschtrem und musterte sie mißtrauisch. »Da habt ihr zwei Äxte, Säge und Schränkzange. Die Schränkzange gebt ihr nachher zurück. Hier ist mein Beil, behaut einen Axtstiel.«
    Arnschtrem lächelte.
    »Die Tagesnorm für Axtstiele ist bei mir dreißig Stück«, sagte er.
    Grigorjew nahm von Arnschtrem ein Holzstück entgegen und begann zu hauen. Die Mittagssirene ertönte. Arnschtrem zog sich nicht an und schaute Grigorjews Arbeit schweigend zu.
    »Jetzt du«, sagte er zu Potaschnikow.
    Potaschnikow stellte das Holzscheit auf den Klotz, nahm von Grigorjew das Beil entgegen und begann zu hauen.
    »Das reicht«, sagte Arnschtrem.
    Die Tischler waren schon zum Essen gegangen, und in der Werkstatt war niemand außer den dreien.
    »Nehmt hier zwei Axtstiele von mir«, Arnschtrem gab Grigorjew die fertigen Stiele, »und setzt Äxte darauf. Schränkt die Säge. Heute und morgen wärmt ihr euch am Ofen. Übermorgen geht ihr dahin, woher ihr gekommen seid. Hier habt ihr ein Stück Brot zum
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