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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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Menschen, die fest entschlossen waren, ihn nach Washington zu bringen, und er hörte auf, sich mit dem Koffer zu beschäftigen. Er dachte an Eva und an ihren Geruch, den er so liebte, an ihre Haare, die er so liebte, an ihre Augen, die er so liebte, an ihren Hals, den er so liebte, an ihre Hüften, die er so liebte, und an die Innenseite ihrer Oberschenkel, die er so gern küsste, während seineHände ihre Brüste massierten und zärtlich drückten, und er sagte sich, dass er das bald alles haben würde, diesen Duft, diese Haare, diese Oberschenkel, für eine ganze Woche, eine Woche war zwar eine sehr kurze Zeit, aber es kam darauf an, welches Zeitmaß man anlegte. Und er fing an zu rechnen, wie viele Sekunden eine Woche hatte, und versuchte, sich jede Sekunde mit ihr als einen Diamanten vorzustellen und die gesamte Woche als hunderttausende glitzernder Diamanten, als eine Art Schatz, der ihm in den Schoß fallen würde, und plötzlich sprang er auf, weil jemand an die Tür klopfte und eine Stimme sagte, ist da jemand? Und wieder, wie zuvor mit dem Taxifahrer und danach mit der Stewardess, wusste er nicht, was er antworten sollte, und hoffte, die Frage würde nicht wiederholt, aber sie wurde wiederholt, auch das energische Klopfen an der Tür, und er hörte sich sagen, ja, hier ist jemand, und hoffte, dass er wenigstens dieses Mal nicht gelogen hatte.
    Ist alles in Ordnung, wurde er gefragt, und er drückte die Wasserspülung, obwohl es nicht notwendig gewesen wäre, und überlegte, wie viele Dinge er heute nur deswegen getan hatte, um bei anderen einen bestimmten Eindruck zu erwecken, und wie mühsam das doch war. Als er die Kabine verließ, standen zwei große Männer vor ihm, einer mit Schnurrbart, der andere mit einem Namensschildchen, das ihm aus der Jackentasche hing, beide in Anzügen, die so elegant waren wie seine eigenen im Koffer, und wieder erschrak er, sie hatten ihn gefunden, vermutlich hatte die Stewardess sie alarmiert, sie hatte gehört, wie der Taxifahrer ihm einen guten Flug wünschte, und gemerkt, dass er nur herumirrte, und wieder dachte er über die Kette von Ereignissen nach, die passiert waren, seit er das Haus verlassen hatte, wie er stufenweise die Kontrolle verlor und von seiner erfundenen Geschichte verschluckt wurde. Und nun war es kein Spaß mehr, es ging nicht mehr darum, ob er nach Washington flog oder nicht, jetzt bestand die Gefahr, verhaftet und verhört zuwerden, und er fragte sich, wie er mit den Fragen der Sicherheitsbeamten fertig werden würde, wohin er flog und wann, und wenn er nicht flog, warum hatte er diesen Koffer. Sie wiederholten ihre Frage, ist alles in Ordnung? Und er sagte, ja, ja, alles in Ordnung, und dann betrat einer von ihnen die Behindertentoilette und der andere verschwand in einer Kabine, die gerade frei wurde.
    Als er hinausging, wusste er, dass seine Befürchtungen übertrieben gewesen waren, nicht jeder Mensch mit einem Namensschild ist ein Sicherheitsbeamter, und wenn ein Taxifahrer jemandem einen guten Flug wünscht, muss dieser Jemand nicht zwangsläufig ein Flugzeug besteigen. Er blieb an einem Getränkestand stehen und kaufte sich eine Dose Cola, öffnete sie und spürte, wie die kalte Schärfe des Getränks ihm eine positive Energie einflößte, vielleicht sogar Optimismus, aber vor allem verlieh sie ihm eine fast unendliche Neugier und ein Verlangen, in dieser Woche zu blättern, wie man in einem Buch blättert, zufällig ein Blatt aufzuschlagen oder es zu überspringen und gleich die letzte Seite zu lesen, zu sehen, wie es endet, und er erinnerte sich an die Worte von Walter Benjamin, der gesagt hat, dass einer Geschichte nur durch ihr Ende Bedeutung verliehen wird, und sogar den Anfang könne man erst richtig lesen, nachdem man die letzte Seite erreicht habe.
    Als ein Schluck Cola wie ein Eiszapfen durch seine Kehle drängte, erinnerte er sich daran, dass Eva nie Cola trank, nur Natursäfte, und dass sie nichts von Cola oder Sprite hatte hören wollen, als sie in der Notaufnahme des Hadassa Krankenhauses vor einem Getränkeautomaten gestanden hatten, das einzige Getränk, das sie akzeptierte, war Apfelsaft gewesen, und während der Wochen, die er mit ihr in Israel zusammen war, hatte er seine Gewohnheiten ein wenig geändert. Er hatte sich geniert, in ihrer Anwesenheit solches Chemiezeug zu trinken, hatte sich an Apfelsaft gewöhnt,
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