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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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fühlen. Er wird sein Schicksal in ihre Hände legen.
    Vielleicht wird er Eva verlieren, vielleicht wird Eva das Opfer dieser Geschichte sein, aber dieser Verlust wird andere retten, er wird sich selbst wiedergewinnen. Aus dem Abend wird Nacht werden, und er wird immer noch sprechen. Danach wird die Morgendämmerung kommen. Seine Geschichte wird einen anderen Menschen aus ihm gemacht haben.
    Eines Morgens wird er die Treppen des Krankenhauses hinaufgehen zum fünften Stock. Er wird Evas Zimmer betreten und sehen, dass das Bett leer ist. Er wird sagen, lasst sie nicht sterben, als hätte er endlich beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Als müsste er nur die Führung übernehmen und alles würde wieder gut werden.
    Er wird darum bitten, Eva zu sehen. Man wird ihm erlauben, sie zu sehen. Man wird ihn Formulare unterschreiben lassen. Man wird ihm ihr weißes Kleid geben, als könnte er etwas mitihm anfangen. Er wird nach der blauen Tüte mit dem Lachs und dem Cream Cheese fragen und sich anschließend für die Frage schämen. Am Ende wird er auch die blaue Tüte bekommen.
    Das wird ein Donnerstagvormittag sein. Die Zeit, in der sie das Hotelzimmer verlassen sollten. Er wird denken, dass sie sogar das bis ins letzte Detail geplant hat. Er wird mit seiner Gewohnheit brechen und mit einem Taxi zum Hotel fahren. Er wird denken, es hat mit einem Unfall begonnen und endet mit einem Unfall, ich hätte sie gleich am Anfang überfahren können.
    Er wird nicht wissen, was er tun soll. Er wird in die Badewanne onanieren. Er wird kommen. Er wird bitterlich weinen. Er wird versuchen herauszufinden, an wen er gedacht hat, als er kam. Er wird die fast gelben Samentropfen auf dem Boden der Badewanne betrachten und denken, das ist es, wofür das alles geschieht? Dafür schicken die Menschen Mails und bekommen Mails und geben klare oder unklare Hinweise und fliegen über den Atlantik? Dafür streiten sie und versöhnen sich und packen Koffer ein und packen Koffer aus, dafür schminken sie sich und hängen Kleider in den Schrank und schlucken diese oder jene Pille? Für diese Sekunden?
    Er wird sich quer über das Bett fallen lassen, ohne den Mantel auszuziehen. Er wird jedes Gefühl verlieren und nicht wissen, ob er schläft oder nicht, ob er lebt oder nicht. Wenn er dann aufwachen wird, wird er feststellen, dass es schon fünf Uhr abends ist. Er wird sich schnell rasieren. Er wird seine Sachen in den offenen Koffer werfen. Er wird mit dem Koffer in die Lobby gehen, den Schlüssel zurückgeben und ein Taxi anhalten.
    Der Taxifahrer wird ihn an den Taxifahrer erinnern, der eine Woche zuvor darauf bestanden hat, ihn zum JFK zu fahren, am Morgen von Thanksgiving. Vielleicht wird es derselbe Fahrer sein, aber vermutlich eher nicht. Er wird sich freuen, dass er diesmal keinen Grund hat, dem Taxifahrer das Ziel zu verheimlichen.
    Er wird beschließen, nichts mehr zu verheimlichen. Er wirdbeschließen, alles auf den Tisch zu legen. Alles ist bei ihm geheim, wird er sich sagen. Der Tagesablauf, die Fahrtstrecken, die Hotelzimmer, die Vergangenheit, die Zukunft. Sogar ein Sterben wird streng geheim stattfinden.
    Auf dem Ledersitz des gelben Taxis wird ihm übel werden. Er wird das Fenster herunterdrehen und versuchen, sich zu übergeben. Es wird ihm nicht gelingen. Er wird nicht nach draußen schauen. Er wird dem Radio lauschen. Der Sprecher wird erwähnen, dass sich die Flüge aus Washington wegen des Schneesturms verspäten.
    Er wird die 57. Straße, Ecke First Avenue erreichen. Er wird den Taxifahrer bezahlen und aussteigen. Am benachbarten Zeitungskiosk wird er eine Tafel Schweizer Schokolade kaufen. Er wird zehn Stockwerke zu Fuß hinaufgehen, mit der Schweizer Schokolade in der Hand. Beim Klingeln wird er seinen eigenen Namen auf dem Türschild sehen und denken, dass nur eine Woche vergangen ist.
    Ruth wird die Tür aufmachen und ihn ruhig umarmen. Sie werden sich in der offenen Tür umarmen, dann werden sie die Tür zumachen und sich in die Küche setzen. Sie wird fragen, wie war deine Woche? Er wird sagen, es ist eine lange Geschichte, und ihr die Schweizer Schokolade geben, vielleicht erzählst du mir vorher, wie deine Woche war?
    Ruth wird sagen, nichts Besonderes, Thanksgiving war ich bei Dani auf Long Island, seine Frau ist schon im achten Monat, wir haben zusammen Babysachen gekauft. Am Samstag bin ich nach New York
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