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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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zurechtzustreichen, bevor er die Tür öffnete, als wäre er ein Krankenpfleger, und zwei kräftige Männer kamen herein und schauten erst ihn an, dann sie, als wären sie nicht sicher, wer auf die Trage gelegt werden sollte.
    Nach kurzem Wortwechsel beugten sie sich über Eva und prüften ihren Puls, und dann steckten sie eine Infusionsnadel in ihr Handgelenk, hoben sie geschickt auf die Trage und beeilten sich, zum Aufzug zu kommen, ohne auf ihn zu warten, und Adam schaute sich überrascht um, das Zimmer war plötzlich leer, zu schnell. Nach seinem Hinweis auf die Abtreibungspille fragte ihn keiner mehr etwas, er war sicher gewesen, dass sie ihn mit Fragen überschütten würden, er hatte schon im Voraus überlegt, welche Fragen sie stellen würden, und hatte sich Antworten zurechtgelegt, aber sie waren so schnell verschwunden, er zog seinenMantel an und nahm die blaue Tüte mit, die ihm zu wichtig erschien, als dass er sie zurücklassen könnte, schloss die Tür und lief langsam und bedächtig die Treppe hinunter, und als er die Lobby erreichte, sagte der Portier, ich habe gehofft, Ihre Frau würde gesund, ich habe gehofft, der Kräutertee würde ihr helfen, und Adam sagte, danke, das habe ich auch gehofft, und er folgte dem Wagen, auf dem die Trage befestigt war, und er versuchte, beim Schieben zu helfen oder wenigstens Augenkontakt mit den Männern zu bekommen, die Eva schoben, aber sie ignorierten ihn, als hätte er ihnen schon genug Probleme gemacht.
    Er folgte ihnen hinaus auf die Straße, es war kurz nach Mitternacht, er überlegte, dass er ungefähr drei Stunden geschlafen hatte, er konnte nicht wissen, wann sie das Bewusstsein verloren hatte, es hätte auch um neun Uhr abends gewesen sein können, als er gerade eingeschlafen war, es konnte also sein, dass sie drei Stunden bewusstlos da gelegen hatte, und als sie den Notarztwagen erreichten, der gegenüber dem Café parkte, in dem sie zum ersten Mal in New York gefrühstückt hatten, war die Straße belebter als sonst, als würde das wahre Leben hier erst um Mitternacht beginnen, das Café war voller Menschen, und am Tisch, an dem sie gefrühstückt hatten, dem viereckigen Marmortisch an der Glaswand, saßen ein Mann und eine Frau in roten Pullovern, sehr ähnlich den Pullovern, die er und Eva getragen hatten, als würden sie noch immer dort sitzen, in einem parallelen Universum, und als wäre alles, was danach geschah, nicht wirklich geschehen, denn was hatte ihnen hier in diesem Café gefehlt? Und warum hatten sie es verlassen? Die Anwesenheit der Doppelgänger mit den roten Pullovern in dem Café, mit einer Flasche Rotwein zwischen ihnen, gab ihm die Hoffnung, dass er sie nicht ganz verloren hatte, dass ihre Vergangenheit noch eine parallele Existenz hatte, man musste die Vergangenheit nur schütteln und aufwecken, und er stieg in den Notarztwagen und kauerte sich, ohne ein Wort zu sagen, neben der Trage nieder, und währendder schnellen Fahrt Richtung Norden, zum Krankenhaus Mount Sinai, versuchte er sich zu überzeugen, dass alles in Ordnung war, dass kein Unglück passiert war, dass er eines Tages mit Eva, in roten Pullovern und mit schwarzen Schals, wie aus einem Magazin, in dieses Café am Washington Square zurückkehren und ein Frühstück bestellen würde.

15
Dienstag, 23. November, 15:55
    Â 
    Und wieder bin ich hier, am Fenster meines Zimmers in der Anafastraße, vor meinem Bildschirm, und schreibe dir, nachdem ich so viel hinter mir habe. Das Tote Meer, meinen Vortrag, Dutzende anderer Vorträge, zwei wilde Nächte, eine medizinische Untersuchung, Gabi (er flog nach Amsterdam), vielleicht auch dich?
    Â 
    Adam, habe ich dich hinter mir oder vor mir?
    Â 
    Ich entdecke, dass ich nicht nur von Menschen, sondern auch von Orten beeinflusst werde. Von der Höhe der Berge in Jerusalem sehen die Dinge anders aus als vom Jordantal. Vielleicht kann ich, nachdem ich an der tiefsten Stelle der Welt war, nachdem ich im Toten Meer geschwommen bin, nicht mehr tiefer sinken, nur noch steigen?
    Â 
    Ich sitze jetzt am Fenster meines Zimmers, vor mir auf dem Tisch die Ergebnisse der medizinischen Untersuchung, und betrachte alles aus einer neuen Perspektive. Ich schaue auf Beth Djala. Die runden Hügel, die Kirche, die Olivenhaine, das Gebäude auf Säulen. Wie ein pastorales Gemälde, das dem Körper Stille schenkt. Die Stille
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