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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht
Autoren: Nika Lubitsch
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Berlin-Tegel
    Drei Sekunden – länger brauchte er nicht, um mich umzuhauen. Die Weltpresse war dabei, an einem Donnerstagmorgen um sieben Uhr. Was für eine Frechheit, so früh morgens einen Fototermin anzusetzen. Das amerikanische Management hatte uns mitgeteilt, dass Osterman nur beim Aussteigen aus dem Flugzeug für Fotos und Interviews zur Verfügung stehen würde. Und besser donnerstagmorgens als donnerstagabends, dem ersten Abend, an dem Osterman in Deutschland sein neues Buch vorstellten sollte. Schließlich wollten wir Aufmacher in den Feuilletons am Freitag.
    Die Maschine war pünktlich gelandet und die Passagiere warteten auf ihre Koffer. Die Fotografen hatten ihre Kameras bereits im Anschlag, der Kameramann von „rbb aktuell“ hatte schon das Licht angestellt, als ein hektischer Zwerg aus dem Gate gerannt kam und schrie:
    „No pictures, no pictures!“
    „Was heißt hier keine Fotos?“, fragte ich ihn entsetzt. Es hatte mich meine gesamten Überredungskünste nebst eingebautem Charme gekostet, überhaupt Medien um diese nachtschlafende Zeit nach Tegel zu bekommen.
    „George ist krank, keine Fotos“, sagte der Zwerg, der sich mir zwar nicht vorstellte, von dem ich aber wusste, wer er war: John Robert, genannt Jay, wie J.R., der Manager von Osterman. Er hatte mich schon am Telefon wahnsinnig gemacht, was nur noch von seinen Mails getoppt wurde.
    „Hallo, ich bin Julia Schlegel. Was soll ich denn jetzt den Fotografen sagen, wann kriegen die wartenden Journalisten ihr Interview?“, fragte ich.
    „Jetzt nicht, Osterman muss schlafen, er hat Fieber“, sagte Jay wie J.R.
    „Ich brauche einen Termin, sonst killen uns die Medien“, entgegnete ich. Verdammt, das fing ja gut an. Dabei hatte ich mich so gefreut, diesen Auftrag vom Verlagschef bekommen zu haben. Es war meine erste Lesereise mit unserem amerikanischen Bestsellerautor, genau genommen war es meine erste Lesereise überhaupt. Seit zwei Monaten war ich in der Marketingabteilung des größten deutschen Verlagshauses angestellt und das hier war meine Feuertaufe. So jedenfalls hatte mein Chef den Auftrag genannt: „Ihre Feuertaufe.“
    Osterman eilte ein gewisser Ruf voraus. Er sei „schwierig“. „Heikel“. „Delikat“. „Nie zufrieden“. „Unausstehlich“. Ich konnte mich kaum noch erinnern, mit welchen Ausdrücken mein Chef George Osterman belegt hatte, aber eins war klar geworden: Der Kerl war nicht einfach.
    Ich hatte Wochen damit verbracht, die Lesereise zu koordinieren, und mir schlaflose Nächte gemacht, in denen ich überlegte, was ich anziehen sollte. Denn egal, wie schlecht der Ruf von Osterman war, ich war sein größter lebender Fan. Genau genommen war es Osterman, der mich dazu gebracht hatte, die Verlagslaufbahn einzuschlagen und mich vor allem bei diesem Verlag zu bewerben. Ich konnte alle bisherigen Osterman-Bücher fast auswendig mitsprechen.
    Die Feuertaufe war also mein Wirklichkeit gewordener Traum. Und den würde ich nicht versemmeln. Ich hatte mich für einen schlichten, dunkelblauen Hosenanzug mit einem dezent weiß-blau gemusterten Top entschieden, das gut zu meinen raspelkurz geschnittenen, blonden Haaren passte, dazu flache Schuhe und ein sehr dezentes Make-up.
    Ich wollte so professionell wie möglich rüberkommen. Osterman musste ja nicht merken, dass er der erste Autor war, den ich zu betreuen hatte. Und nun stand ich hier, professionell gestylt, aber ohne die Andeutung einer Ahnung, was zum Teufel ich jetzt tun sollte. Wenn man sagen würde, dass die Weltpresse sauer war, so war das die Untertreibung des Jahres.
    Ich bat die Damen und Herren um ein wenig Geduld und den Zollbeamten, der den Ausgang vom Gate bewachte, um seine Hilfe. Er ließ mich durch. Und dann sah ich ihn. George Osterman.
    Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat. Habe ich geflötet oder geflirtet? Ich werde ihm wohl die Situation erklärt haben. Er schaute auf meine einsfünfundsechzig laufende Meter mit flachen Schuhen herab und es war, als ob mir J.R. mit einem Baseballschläger in die Kniekehle gehauen hätte.
    Das Einzige, was ich weiß, war, dass er alle Journalisten zum Frühstück ins Hotel Adlon eingeladen hat. Selbstverständlich auf Kosten des Verlags, wie sich später herausstellte. Und, dass er darum bat, bitte, bitte erst mal unter die Dusche gehen zu dürfen und ein paar Aspirin zu schlucken. Ja, Osterman war grau im Gesicht, er hatte offensichtlich Fieber, aber er pfiff seinen
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