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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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vielleicht hatte Eva am Tag ihres Abflugs noch eine Mail geschickt, warum sollte er nicht nachschauen, Zeit hatte er genug, zumal er den Fahrer gewarnt hatte, dass er nicht sofort zurückkommen würde. Aber als er das Zimmer betrat und sich vor den Computer setzen wollte, sah er durch das Fenster, dass das orangefarbene Taxi von Carmel auf ihn wartete, wie man auf einen Gefangenen wartet, der kurz frei bekommen hat, und plötzlich bereute er es, den Koffer nicht mitgenommen zu haben, denn dann hätte er die beiden Anzüge herausnehmen und in seinem Büro lassen können. Er hätte das Konsulat heimlich über den Notausgang verlassen, mit dem Koffer in der Hand, er wäre dieses Taxi los und hättesich JFK gespart, doch dann wurde ihm klar, dass ihm der Fahrer auf keinen Fall den Koffer gegeben hätte, dass sein Koffer wie eine Geisel im Kofferraum lag.
    Haben Sie gefunden, was Sie gesucht haben, fragte ihn der Fahrer, als er zum Taxi zurückkam, und Adam sagte, ja, jetzt können wir zum JFK , und der Fahrer sagte, machen Sie sich keine Sorgen, dieser Umweg kostet Sie nichts, und er verfluchte sich selbst, warum war er an diesen Fahrer geraten, der so selbstlos und rechtschaffen war, jeder normale Fahrer hätte das Geld genommen und sich die Fahrt zum JFK erspart, nur dieser Fahrer war ein verkleideter Papst. Sie fuhren Dutzende von Blocks nach Süden und überquerten die Williamsburg Bridge, er schaute hinunter auf den grauen East River und hinüber nach Manhattan, das wie ein plumper Antennenwald hinter ihm lag, und dachte, er hätte den unerwarteten Besuch im Büro vielleicht doch nutzen sollen, um seine E-mails zu checken, es war ein Fehler, die E-mails nicht zu lesen und stattdessen diese kostbaren Minuten damit zu vergeuden, dass er sich das Gesicht wusch und nutzlos auf der Toilette saß.
    Sie waren nicht mehr weit vom Terminal und der Fahrer fragte, American Airlines, nicht wahr? Und wieder wurde ihm klar, dass der Fahrer Dinge über ihn wusste, die er selber nicht wusste, er hatte doch keinen Flug gebucht, und er konnte sich nicht erinnern, mit Ruth über den Flug gesprochen zu haben, er wusste nicht mehr, was er ihr gesagt hatte und was er nur vorgehabt hatte, ihr zu sagen, für den Fall, dass sie Fragen stellte, oder hatte sie sich daran erinnert, dass er davor mit American Airlines nach Washington geflogen war, dass er bei der Gesellschaft eine Vielfliegerkarte besaß? Er ersparte sich eine Antwort und sagte zum Fahrer, gut, lassen Sie mich bei American Airlines raus, als wäre alles noch offen, als wäre das eine Möglichkeit unter vielen, und als er das Taxi verließ, gab er dem Fahrer zu viel Trinkgeld und entfernte sich rasch, aber der Fahrer schrie irgendetwas unddeutete auf den Kofferraum, und Adam ging zurück, nahm seinen Koffer, und der Fahrer wünschte ihm einen guten Flug, und er sagte, danke, und dachte, was für ein Glück, dass dieser Fahrer nicht fliegen kann, sonst hätte er bestimmt darauf bestanden, ihn nach Washington zu fliegen.
    Wo fliegen Sie hin, fragte ihn eine hübsche Stewardess, kaum dass er das Terminal betreten hatte, und ihm fiel auf, dass die Kette der Irrtümer endlos war. Wenn er nicht sofort und auf der Stelle etwas unternahm, würde dieser Schneeball weiterrollen und ihn nach Washington befördern, und er sagte zu der Stewardess, einen Moment, ich fühle mich nicht wohl, wo ist die Toilette? Und sie sagte, geradeaus und rechts, und er ging mit seinem Koffer zur Herrentoilette, beugte sich über das Waschbecken und wusch noch einmal sein Gesicht, und plötzlich sah er sich im Spiegel und war von seinem frischen Aussehen überrascht, von seinen braunen Haaren, der glatten, gebräunten Haut, dem Glanz in seinen Augen, man hätte glauben können, er sei zehn Jahre jünger, als er tatsächlich war, eine Art Dorian Gray, der einen Weg gefunden hat, die Zeit einzufrieren, um für immer Mitte dreißig zu bleiben, aber gerade heute hatte er vergessen, sich zu rasieren, Ruth fand Stoppeln sexy, aber Eva nicht, vielleicht sollte er sich rasieren, bevor er sie traf.
    Er betrat eine Kabine, die etwas größer war als die anderen, behindertengerecht, setzte sich auf die Kloschüssel, öffnete den Koffer und hantierte mit dem Rasierzeug, und er erinnerte sich, dass er auch im Konsulat Zuflucht auf der Toilette gesucht hatte, vielleicht war die Toilette die einzige Zuflucht vor all den
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