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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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ihm umdrehte, hatte er die Möglichkeit, sie von vorn zu sehen und ihr Alter zu schätzen, um sicherzugehen, dass sie nicht Ruth war, und ihm schien, dass auch sie ihn sorgfältig musterte, als versuche auch sie sicherzugehen, dass er kein anderer war, und er sagte, Thanksgiving, nicht wahr, und sie lächelte und sagte, ja, Thanksgiving, und er fragte, woher kommen Sie? Aus Washington, sagte sie, und er sagte, interessant, ich bin gerade auf dem Weg dorthin, und die Frau fragte, mit dem Taxi? Und er sagte, nein, ich meine Washington Square, und beide lachten.
    Das Gespräch verkürzte die Wartezeit, sie konnten schon die Taxis sehen, und sogar das Baby auf dem Rücken der Frau sah optimistisch aus, und ein Mann fragte, gehört es Ihnen, das Baby? Und die Frau sagte, nein, ich habe es gestohlen, und lachte wieder, und das Zittern ihres Körpers, als sie lachte, erinnerte ihn an Ruths Körper, und sie fragte, was ist mit Ihnen, haben Sie auch ein Kind? Und Adam sagte, nein, ich habe kein Kind, er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu, ich hätte beinahe ein Kind gehabt, vor vielen Jahren.
    Sie waren schon fast am Kopf der Schlange angelangt und Adam schaute nicht mehr die Frau an, sondern die Gesichter der Taxifahrer, ein Gesicht kam ihm bekannt vor, war das sein Taxifahrer von heute Morgen? Verfolgte er ihn? Ohne ein Wort zu sagen, verließ er die Schlange und hoffte, der Fahrer habe ihn nicht erkannt, er bemerkte das Erstaunen auf dem Gesicht der Frau, schließlich hatten sie ein Stück Leben gemeinsam verbracht, ihre Schritte hatten sich einander angepasst, sie waren fast eine Familie gewesen und schon so nahe am Ziel, aber er ging weiter, ohne zurückzuschauen, trat zu dem Mann im Ledermantel, derihn vorhin angesprochen hatte, und folgte ihm zum Parkplatz, und als er in das schwarze Taxi eingestiegen war, sagte der Mann, das sei kein Taxi, sondern eine Limousine, als wäre das etwas Besonderes.
    Er fuhr nun den ganzen Weg zurück, wieder über die Williamsburg Bridge, diesmal von Ost nach West, und die Sinnlosigkeit war besonders auffällig, weil er in wenigen Stunden wieder diesen Weg nehmen würde, und er erinnerte sich an die elektrischen Wagen, die auf anderen Flughäfen zwischen den Terminals verkehrten, zum Beispiel in London zwischen Gatwick Nord und Gatwick Süd, automatische Wagen mit weißen Neonleuchten und Lautsprechern, aus denen mit weichen Stimmen den Passagieren erklärt wurde, was zu tun sei, Wagen, die so programmiert sind, dass sie immer hin- und zurückfahren, ihr Leben lang hin und zurück, jede Fahrt macht die Fahrt davor ungültig und wird durch die Fahrt danach ungültig gemacht.
    Aber seine vierte Fahrt heute würde anders sein, er würde nicht allein fahren, sie würde neben ihm sitzen, auf seinem Schoß, in seinen Armen, er würde ihren Duft einatmen, den er so vermisst hat, und er würde ihr Gesicht mit Küssen bedecken, wie sehr sehnte er sich nach diesem Gesicht, wie oft hatte er versucht, sich dieses Gesicht vorzustellen, denn obwohl er ein Foto von ihr hatte, schien es ihm, dass Fotos nur irreführend seien, seine Sehnsucht galt vor allem dem Ausdruck, den ihr Gesicht haben würde, wenn er in sie eindrang, als würde es sich im Moment der Penetration verwandeln und bekomme etwas Entgleitendes, das sich schwer in Worte fassen ließ und dennoch so deutlich war, dass man es nicht anzweifeln konnte.
    Manchmal wollte er sie fotografieren, wenn er in sie eingedrungen war, nur ihr Gesicht, ohne dass jemand eine Verbindung hätte herstellen können, sie würden diese Fotos überall zeigen können, und es bliebe ihr Geheimnis, was dort wirklich geschehen war. Wenn er in ihr war, schien sie ihm wie ein Meerzu sein, ganz offen, als könne man in jeden Winkel ihres Körpers vordringen, aber auch voller Wellen, manche sehr breit und langsam, andere wieder schnell und frech, fast wie Schaum, fast verrückt, ja, das war das Bild, nach dem er sich am meisten sehnte, und nun, da er wieder in Manhattan war, das er in wenigen Stunden erneut verlassen würde, nur um eine Stunde später wieder zurückzukehren, wusste er, dass er nicht nur viermal, sondern tausendmal diese Reise unternehmen würde, nur um dieses Bild wiederzusehen.
    Von diesem Moment an verließ ihn die Aufregung nicht mehr, alle Vorkommnisse dieses Morgens und des Nachmittags, der Taxifahrer, der Konsul, die Stewardess, die Frau
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