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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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beschlagene Scheibe sauber und schaute wieder auf den Platz hinunter, der für einen Augenblick verschwunden gewesen war.
    Acht Stunden später war er wieder am Flughafen. Das Flugzeug landete pünktlich und er wartete vor dem Gate, aus dem Eva herauskommen sollte. Er stützte sich auf das Metallgeländer, starrte wie hypnotisiert auf die automatische Tür, die sich öffnete und schloss und jedes Mal die falschen Leute ausspuckte, sah auf die Uhr, dann wieder auf den Bildschirm, auf dem der Flug angezeigt war, es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Manchmal schaute er zu Boden und konzentrierte sich auf die Füße der ankommenden Fluggäste, versuchte sie anhand ihrer Schuheund ihres Ganges zu identifizieren, aber eine Stunde nach der Landung verschwand der Flug vom Bildschirm und der Strom der Passagiere ebbte ab, und plötzlich dachte er, dass sie vielleicht den Flug verpasst hatte, dass etwas passiert war, dass Sascha vielleicht absichtlich zu spät gekommen war, um sie zum Flughafen zu bringen. Vielleicht hatte sie ihm schon eine Mail geschickt, um ihm mitzuteilen, was passiert war, ja, vermutlich hatte sie ihm heute eine Mail geschickt, und er hätte, als er im Konsulat war, die Möglichkeit gehabt, sie zu lesen, aber diese Chance hatte er nun verpasst, und er hatte keine Ahnung, ob sie kam oder nicht.
    Trotzdem stützte er sich weiter auf das Geländer, denn sie würde vielleicht doch noch kommen, und dann war es ihm wichtig, dass sie ihn in dieser Körperhaltung sah, aus diesem Winkel. Fast hätte er einer blonden Frau zugewinkt, die viel älter als Eva war, nur weil sie einen roten Pullover trug, der ihm bekannt vorkam. Als der Strom der Passagiere wieder zunahm, war ihm klar, dass es sich um einen anderen Flug handelte, es gab keine Chance mehr, dass sie noch kam, ja, sie war zu spät zum Flughafen gekommen, im besten Fall, oder sie hatte sich dafür entschieden, den Flug abzusagen, wie sie ihm erst vor drei Tagen vom Toten Meer geschrieben hatte. Schließlich war sie schon immer etwas launisch gewesen, schade, dass er seine Mails heute nicht gelesen hatte, dann hätte er es im Voraus gewusst, dann hätte er sich die dritte und die vierte Fahrt über die Williamsburg Bridge gespart. So oder so, sie würden sich nicht in New York treffen, und diese Woche, die er sich in allen Einzelheiten vorgestellt hatte, existierte nur in seiner Phantasie.
    Und er erinnerte sich, dass ihm dieses Treffen in New York gleich am Anfang, als sie es besprochen hatten, nicht sehr real vorgekommen war, zu perfekt, etwas in ihm hatte erwartet, dass in letzter Minute etwas schiefgehen würde, sodass er jetzt nicht wirklich überrascht war. Entweder sie hatte den Flug verpasstoder ihre Mutter hatte ihr nicht erlaubt zu fliegen oder sie hatte ihre Meinung im letzten Moment geändert. Die Details waren nicht wichtig, nur die Tatsache, dass sie nicht hier war und dass er die heimliche Woche in New York ganz allein verbringen würde, statt wie jeder normale Mensch, statt mit Ruth und dem Truthahn und dem 82er Château Musar in seiner großen Wohnung in der 57. Straße Thanksgiving zu feiern. Er würde wie in einer Art Hausarrest die Zeit verbringen, in einem winzigen Zimmer mit Ausblick auf den Washington Square, ein Zimmer, das in seiner Vorstellung nun nicht größer war als eine Gefängniszelle und in dem es noch nicht einmal Badeschaum gab.

2
Samstag, 16. Oktober, 09:19
    Â 
    Adam,
    das gilt nicht als richtige Mail.
    Ich weiß, dass du sie noch nicht lesen kannst.
    Du bist jetzt bestimmt über dem Atlantik.
    Â 
    Ich hoffe, dass du es in der Nacht geschafft hast, deine Kleidung in deinen komischen Koffer zu stopfen. Gerade bin ich aufgewacht. Ich schaue mich um. Es sind immer noch Spuren von dir hier. Ich habe beschlossen, die Bettwäsche zu waschen. Ich wäre froh, wenn ich auch mein Herz in die Waschmaschine stecken könnte.
    Â 
    Die Hitze, die während der letzten Wochen in Jerusalem herrschte, hat sich mit dir verabschiedet.
    Eine Koinzidenz.
    Was willst du noch von mir hören?
    Ich schicke dir die Mail jetzt, damit sie ihr Ziel überholt und vor dir in New York ist.
    Eva
    Â 
    Â 
    Sonntag, 17. Oktober, 14:14
    Â 
    Adam,
    die anderen Assistenten haben heute gesagt, ich würde so traurig aussehen. Es ist der erste Tag zurück an der Uni. Ich saß im Haus Belgien, obwohl es eigentlich den Dozenten vorbehalten ist.
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