Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
Vom Netzwerk:
Normalerweise hasse ich das Haus Belgien. Alle gehen mit gelben Blöcken hin, um zu arbeiten. Selbst wer nicht arbeitet, tut so, als würde er arbeiten.
    Â 
    Ich tat, als würde ich Zeitung lesen. Ha’aretz. Sie ist an einer langen Stange befestigt, und es herrscht eine Art Wettbewerb, wer sie zuerst bekommt. Als ich hereinkam, war die Zeitung frei und ich habe sie mir gleich geschnappt. Obwohl niemand sie mir streitig machen wollte.
    Â 
    Ich sank in einen der braunen Sessel vor einem runden Kaffeetisch und hielt mir die Zeitung vors Gesicht. Wenn sie größer gewesen wäre, hätte ich sie dazu benutzt, meinen ganzen Körper zu bedecken.
    Â 
    Du sagst, es wird unendlich viele Wodkaflaschen geben.
    Und ich sage: Es wird unendlich viel Schmerz geben.
    Hattest du einen angenehmen Flug?
    Ist dir dieser Brief echt genug?
    Â 
    Das Leben ist nicht kurz. Wie kann es kurz sein, wenn ich in einem Monat so viel über dich gelernt habe. Wenn ich all meine Monate so verbringen würde, wüsste ich alles.
    Sag mir, dass du glücklich bist.
    Eva
    Â 
    Â 
    Montag, 18. Oktober, 11:13
    Â 
    >Ja Eva, ich bin glücklich. Wie sollte ich nicht glücklich sein?
    >Du hast mich an einem äußerst unerwarteten Ort und zu
    >einer äußerst unerwarteten Zeit glücklich gemacht. Und
    >nun deine Mails, umgeben von Dutzenden bedeutungsloser
    >Mails. Wir sind umgeben von Bedeutungslosigkeit, wir ge-
    >wöhnen uns daran, werden mit den Jahren fast süchtig da-
    >nach, sodass das Bedeutungsvolle uns immer unvorbereitet
    >trifft. Besonders wenn es in diesem Tempo geschieht, fast
    >brutal, wie ein Verkehrsunfall.
    >
    >Du hast nicht geschrieben, dass du traurig bist.
    >Du hast noch nicht einmal geschrieben, dass du traurig aus-
    >siehst.
    >Du hast geschrieben, dass dir andere gesagt haben, dass du
    >traurig aussiehst.
    >
    >Vielleicht ist es falsch, Glück von Traurigkeit zu trennen.
    >Vielleicht sind es zwei Aspekte derselben Sache. Wie Wel-
    >len und Teilchen zwei Aspekte des Lichts sind (du bist die
    >Physikerin).
    >
    >So vieles haben wir noch nicht gemacht.
    >Du hast mir noch keinen Physikunterricht gegeben.
    >Wir haben noch nicht zusammen gebadet.
    >Ich habe dein linkes Knie noch nicht geküsst.
    >Wir werden doch Zeit für das alles haben, nicht wahr?
    >
    >Die erste Nacht in New York. Ich habe kein Auge zugetan.
    >Jedes Geräusch, jede Bewegung, jedes Schnarchen habe ich
    >so laut gehört wie mit einem Verstärker. Irgendwann ist
    >Ruth aufgestanden und in ihr Arbeitszimmer gegangen. Ich
    >dachte, das würde mir erlauben einzuschlafen. Es stellte sich
    >aber heraus, dass meine eigenen Geräusche mich noch mehr
    >störten. Ich lag stundenlang einfach auf dem Rücken, starrte
    >in die Dunkelheit, sprach mit dir. Ich meine, ich stellte mir
    >vor, mit dir zu sprechen. Das ist in den letzten Wochen, in Je-
    >rusalem, zum Zentrum meiner Existenz geworden, und na-
    >türlich geht es auch hier weiter, in New York, Tag und
    >Nacht, ob ich es möchte oder nicht, so wie man ein ampu-
    >tiertes Bein spürt.
    >
    >Und auch, dir zu schreiben. Das heißt, ich dachte daran, was
    >ich dir am nächsten Tag schreiben würde (also heute). Mir
    >scheint, als hätte ich unendlich viele Entwürfe im Kopf ver-
    >fasst, im Schutz der Dunkelheit. Aber jetzt, vor dem Rech-
    >ner, im 13. Stock des Konsulats, hat das Tageslicht alle ge-
    >löscht.
    >
    >Ich erinnere mich nur an eine nächtliche Idee, eine verrückte
    >Idee, nicht machbar, du wirst bestimmt nein sagen, und ich
    >werde dich verstehen (und wenn du ja sagst, werde ich viel-
    >leicht nein sagen). Eine Woche mit dir zusammen zu sein, in
    >einem kleinen Zimmer. Nur du und ich. Das Zimmer nicht
    >zu verlassen. Manchmal verstehe ich nicht, warum die Men-
    >schen ihre Zimmer verlassen.
    >
    >Adam
    Meine Mail habe ich mit einem Zitat von dir angefangen. Bist du sicher, dass du gefahren bist? Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass du in mir bist, wo immer ich auch hingehe. Vielleicht hat meine Mutter deshalb gesagt, ich hätte einen seltsamen Gang. Ich sagte, das sei wegen des Unfalls. Das ist keine Lüge. Du hast mein Bein wirklich verletzt.
    Â 
    Wir saßen am runden Küchentisch, Lena (meine Stiefschwester, du erinnerst dich?), meine Mutter und ich, wir tranken Tee und frühstückten (wir aßen diese Kascha, über die du so gelacht hast). Danach ging meine Mutter zur Ambulanz und Lena zum Innenministerium
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher