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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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und ich schnitt eine Grapefruit in zwei Teile, aß die eine Hälfte, dann die zweite. Erst dann wagte ich es, auf die Uhr zu schauen. Halb neun. Ein weiterer Tag begann. Ich versuchte, auf die New Yorker Zeit umzurechnen, sieben Stunden abzuziehen, zu erraten, wann du aufwachen würdest.
    Glaubst du wirklich, dass Glück und Traurigkeit zwei Aspekte der gleichen Sache sind?
    Vielleicht wäre es besser ohne beide?
    Â 
    Ich weiß nicht, wie man über Traurigkeit schreibt oder über Glück. Traurigkeit oder Glück zu schildern ist wie Liebe machen ohne Decke. Aber wenn wir das gemacht haben, werde ich dir vielleicht doch einige Beschreibungen liefern.
    Â 
    Gestern wollte ich wirklich niemanden sehen. Am Vormittag ging ich zur Uni. Von zehn bis zwölf gab ich ein Proseminar »Einführung in die Mechanik«. Ich kam zu dem Schluss, dass all meine Studenten Dummköpfe sind. An einem bestimmten Punkt habe ich einfach aufgehört, ihre Fragen zu beantworten. Ich tat, als würde ich nicht sehen, dass sie die Finger hochstrecken. Am Ende schrieb ich die Lösungen der Aufgaben an die Tafel und sie sahen mich nur noch von hinten. Ich habe mich selbst nie von hinten gesehen. Ich bin nicht sicher, ob es ein besonders hübscher Anblick ist. Danach ging ich zum Haus Belgien, um mich hinter der Zeitung zu verstecken. Das habe ich dir ja schon erzählt. Das Proseminar, das ich gestern gab, wird meine Note im Fach »Unterrichten« nicht verbessern. Zumindest habe ich jemanden, dem ich die Schuld geben kann (dir).
    Â 
    Am Nachmittag ging ich schwimmen. Man kann, wenn man will, beim Schwimmen sehr viel Traurigkeit ausdrücken. Ich habe die Angewohnheit, beim Schwimmen zu weinen, auch ohne Grund. Vielleicht, weil es niemand merkt, das Gesicht ist sowieso nass und man kann die Tränen nicht erkennen. Diesmal habe ich nicht geweint. Ich schwamm dreißig Bahnen in einer halben Stunde. Danach duschte ich heiß. Ich fuhr mit dem Bus nach Hause. Ich fing an, die Weißen Nächte zu lesen. Seltsam, dass ich es bis heute nicht gelesen habe. Als es fast unerträglich wurde, ging ich joggen. Beim Anstieg von Beth Zafafa nach Gilo rannte ich, so schnell ich konnte. Und dann wurde mir auch klar, dass ich zum ersten Mal ohne Lena joggte, seit ich dich traf, wenn man das ein Treffen nennen kann. Sag, hast du mich wirklich nicht am Straßenrand laufen gesehen oder bist du in mich reingefahren, weil du mich gesehen hast? Ein Glück, dass deine Bremsen so gut sind, sonst hättest du jetzt niemanden, dem du schreiben könntest.
    Â 
    Als ich vom Joggen zurückkam, fand ich Lena in der Küche. Wir beschlossen, uns einen Film in Malcha anzusehen. Das Kino war ausverkauft. Dann saßen wir in diesem Café im Einkaufszentrum und ich spielte mit ihr Adam. Ich stellte Fragen. Wie du es mit mir auf der Bank in der Notaufnahme des Hadassa Krankenhauses gemacht hast. Ich schob meine Hemmungen zur Seite und stellte der Reihe nach alle Fragen, die zu fragen waren. Wie ein Rechner. Der Trick war, einfach nicht aufzuhören und sich nicht zu schämen. Es ist erstaunlich, wie viel sie mir erzählt hat. Am Schluss sagte sie, vielleicht sollten wir das öfter tun? Es macht nicht viel Spaß, ein Rechner zu sein. Aber wie soll sie das wissen.
    Â 
    Dann ging ich schlafen. Dann wachte ich auf. Hätte die Uhr sieben gezeigt, wäre ich aufgestanden und hätte den Tag begonnen. Aber sie zeigte zwei, da konnte ich nicht so tun, als wäre die Nacht vorbei. Deshalb las ich die Weißen Nächte zu Ende. Das Ergebniswar, dass ich nach acht Uhr aufstand. Ich aß Kascha und Grapefruit. Das habe ich dir ja schon erzählt. Nun beschloss ich, die Küche sauber zu machen. Obwohl ich nicht an der Reihe war. Vielleicht hatte ich noch immer das Bedürfnis, mein Herz von deinen Resten zu befreien. Ich war supergründlich. Im Kühlschrank entdeckte ich ganze Kolonien von Schimmel. Erst danach, um zehn Uhr, ging ich zum Rechner und las die Mails. Ist dir aufgefallen, dass Mails manchmal schnell und manchmal langsam ankommen, egal wann man sie schickt? Nachdem ich deine Mail gelesen hatte, weinte ich. Noch nie hat jemand mir eine solche Mail geschrieben. Es dir zu erzählen, ist nicht nur, wie Liebe ohne Decke machen, es ist wie Liebe machen bei voller Beleuchtung und mit Spiegeln an allen Seiten.
    Â 
    Ich fing an, mir uns beide in einem kleinen Zimmer vorzustellen, ohne es eine
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