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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot
Autoren: Karen Chance
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Eins
    Ich landete auf dem Boden und lief oder stolperte oder fiel.
    Es ließ sich kaum feststellen, da sich die Erde anfühlte, als gäbe sie unter mir nach. Und dann begriff ich: Die Erde fühlte sich so an, weil sie unter mir nachgab.
    »Scheeeiiiße!«
    Ich fiel über den Rand einer Klippe in die leere Luft, ruderte mit den Armen und trat mit den Beinen, obwohl das überhaupt nichts nützte, und schrie Zeter und Mordio. Für einen langen Moment gab es nur mich, kristallblauen Himmel und jede Menge funkelndes, schneebedecktes Land viel zu weit unter mir. Ich wusste, dass ich etwas tun sollte, aber der Wind pfiff mir in den Ohren, die Kälte trieb mir Tränen in die Augen, und das weiße Land eilte mir mit einer Geschwindigkeit entgegen, die eine sehr breiige Hellseherin in sehr naher Zukunft versprach …
    Und dann wurde ich nach oben gerissen, so schnell, dass es mir den Atem verschlug und mir schwindelig wurde. Oder vielleicht lag es an den festen Armen, die sich um mich schlangen, oder dem noch festeren Körper hinter mir. Oder an dem erleichterten Gedanken: Bin noch nicht tot, noch nicht tot…
    Es ist immer wieder erstaunlich.
    Ich bin Cassie Palmer und habe dem Tod öfter ein Schnippchen geschlagen, als man erwarten sollte. In den vergangenen beiden Monaten hat man immer wieder versucht, mich zu erschießen, zu erstechen, zu erschlagen und mich in die Luft zu jagen, von den magischen Anschlägen auf mein Leben ganz zu schweigen. Es hätte mich schon vor langer Zeit erwischt, wenn nicht meine Freunde gewesen wären, und einer von ihnen war mir gerade über den Klippenrand nachgesprungen.
    Ich wäre ihm dankbar gewesen, wenn nicht er es gewesen wäre, der mich in den Abgrund gestoßen hätte.
    Mir lief die Nase, ich konnte kaum etwas sehen, und mein Gehirn war noch immer in namenlosem Entsetzen erstarrt. Deshalb hing ich für einen Moment einfach nur in der Leere, schnappte nach der eiskalten Luft und wartete darauf, dass mein Herz nicht mehr versuchte, mir aus der Brust zu springen. Aus dem Augenwinkel sah ich ein kleines Stück von dem, was uns oben hielt, und es beruhigte mich kaum.
    Das Etwas war transparent, bis auf ein schwaches bläuliches Glühen, fast unsichtbar vor dem Hintergrund des blauen Himmels.
    Oben wölbte es sich wie eine Kuppel, und einige hauchdünne Tentakel reichten nach unten und umgaben uns, wodurch das Ding wie eine Qualle aussah – wenn es Quallen gab, die so groß wie ein Bus wurden und die Angewohnheit hatten, über den Colorado Rockies zu schweben. Die Realität war fast noch seltsamer: Es handelte sich um die Magie eines Mannes, geformt zu einem Fallschirm, dem ich nicht traute.
    Andererseits … Dem Mann vertraute ich. Obwohl ich wünschte, dass er mich von vorn gepackt hätte. Dann wäre ich nämlich imstande gewesen, ihm das Knie in die Eier zu rammen.
    »Das hast du absichtlich gemacht!«, keuchte ich, als ich wieder atmen konnte.
    »Natürlich.«
    »Natürlich?« Ich sah auf, musste aber den Hals recken, und das Gesicht über mir war verkehrt herum. Die hellgrünen Augen blieben unverändert, und leider auch das stachelige blonde Haar.
    Aus diesem Blickwinkel sah es nicht viel besser aus, fand ich.
    »Du musst lernen, auch unter Druck zuverlässig zu reagieren«, teilte er mir mit. »Andernfalls bist du verwundbar.«
    Ich versuchte, den Kopf zu drehen und einen finsteren Blick auf den Mann zu richten, aber das klappte nicht besonders gut, wenn man jemanden falsch herum ansah. Was sich meinen Blicken darbot, war vor allem eine muskulöse Schulter in einem grünen Army-Sweatshirt. John Pritkin, gelegentlich ein Freund, manchmal ein Feind und immer eine Nervensäge, trug keinen Mantel. Natürlich nicht.
    Die Temperatur lag hier bestimmt unter dem Gefrierpunkt, und ohne all das Adrenalin in meinem Blut wäre ich vermudich dem Erfrieren nahe gewesen, aber ein Mantel war nicht macho. Und wenn ich eins über Kriegsmagier – gewissermaßen das Äquivalent der Polizei in der übernatürlichen Welt – gelernt hatte, dann das: Sie waren immer macho. Selbst die Frauen. Furchtbar.
    Furchtbar war es auch, anderthalb Kilometer über zahlreichen spitzen Bergen in der Luft zu hängen.
    »Deine Fähigkeiten nützen dir nichts, wenn du nicht lernst, auch unter Stress einen kühlen Kopf zu bewahren«, fügte Pritkin ruhig hinzu, als wir uns langsam den spitzen Dingern näherten.
    »Stress?«, wiederholte ich, und meine Stimme vibrierte ein wenig. »Ein schlechter Tag ist Stress, Pritkin.
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