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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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ANNA KORDZAIA-SAMADASCHWILI
    DAS HISTORISCHE GEDÄCHTNIS
    Meine Heldin war eine recht gebildete Frau. Ihre Einstellung zur Liebe bezeichnete sie als nietzscheanisch, obschon sie wusste, dass Nietzsche das, was sie zu zitieren pflegte, über die Musik geschrieben hatte. Sie ließ ihre Finger knacken – mag sein, dass das als unhöflich gilt, aber es ging doch nicht an, dass eine Frau mit dem Image einer ein bisschen durchgeknallten Intellektuellen auf solche Kleinigkeiten geachtet hätte –, sie ließ also des Öfteren ihre recht kräftigen Finger knacken und erklärte dabei: »Die Liebe ist das wahre Leben. Wenn du liebst, lebst du. Die Liebe ist allumfassend. Sie sollte nie vorbei sein. Sie geht aber vorbei, und genau das ist das Problem: Wie kann man weiterleben, wenn die Liebe vorbei ist?«
    Diese weise Frage warf sie nur auf, weil sie hübsch klang, denn meine tapfere Heldin ließ sich ihr Leben nicht durch Kummer und Leid vermiesen. »Basta und vorbei, wo ist das Problem? Das eine ist vorüber, und etwas anderes wird beginnen, unbedingt!« Derlei Reden beherrschte sie gut. Sie war nicht nur klug, sie war auch erfahren, und überhaupt war sie, wie ich ja schon sagte, eine tapfere Frau.
    Eine erbärmliche Stadt war das, die geradezu Brechreiz erregte mit ihrer imperialen Vergangenheit. Das Klima – feucht; das Essen – widerlich; die Menschen – hässlich; was soll ich noch alles aufzählen. Die Sonne schien nie, ich bekam sie jedenfalls nicht zu sehen. Vor meinem Fenster bot sich ein großartiger Blick: Dächer, Dächer, viele nasse Dächer, Katzen … An der Hotelrezeption bestand ich auf ein Raucherzimmer, in dem ich die Fenster öffnen könnte. Ich musste einen Vertrag unterschreiben, dass ich, N. N., als Dolmetscherin hierher, in dieses Kaff, geraten, nicht aus dem Fenster springen würde, genauer nicht aus diesem Fenster. Und gerade wegen dieses wunderlichen Vertrags drängte sich mir abends immer wieder der perfide Gedanke auf: Soll ich doch springen? Auch wenn ich das auf keinen Fall vorhatte – ich war ja aus geschäftlichen Gründen hier, um Kohle zu machen, mich kostenlos im Solarium zu bräunen, auszuschlafen, mich aufzuhübschen, und überhaupt, um zur Vernunft zu kommen.
    Das mit dem Aufhübschen war meinerseits völlig idiotisch, weil jenen Mann, von dem ich mir erhoffte, er würde mich doch noch ohne endgültiges seelisches Verderben und Aids auskommen lassen, mein Aussehen überhaupt nicht kümmerte; ich glaube sogar, er nahm nicht einmal wahr, ob ich blond oder dunkelhäutig war. Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was ihn mit mir verband, schließlich wusste ich nicht einmal, ob ihn mit mir überhaupt irgendetwas verband. Nur dass er eine Zeit lang mit mir zusammen gewesen und ich verliebt, sehr verliebt gewesen war und dass mich seine abstoßende Vergangenheit, seine schöne Ehefrau, seine höflichen Kinder und seine völlig inakzeptable politische Gesinnung damals ganz und gar nicht interessiert hatten. Darüber mache ich mir erst Gedanken, dachte ich manchmal, wenn sich in der Stadt Barrikaden auftürmen. Dann werde ich versuchen, dir den Kopf einzuschlagen, bevor du mich zu Fall bringst. Erst dann … Was in aller Welt mich mit diesem Mann verband, war wirklich eine gute Frage. Karmische Schulden vielleicht.
    Über solchen Unsinn dachte ich abends nach, wenn die vom Dialog der Kulturen erschöpften Seminarmitglieder schliefen. Ich setzte mich in die Hotelbar und hörte mir die Beichte eines heimatvertriebenen Kellners an. Mal plante er, sich wegen der Rente für einen Juden auszugeben, mal wollte er nach Afrika, um hungernde Kinder zu retten. Ich lobte die Globalisierung, derentwegen man sogar hier ordentliche Getränke bekam, ging dann wieder auf mein suizidales Zimmer und stieg in mein riesiges Bett. Natürlich allein – ich war doch verliebt!
    Der Beginn der Liebesgeschichte
    Für diesen Mann hatte ich von Anfang an eine Schwäche gehabt, auch als ich ihn noch gar nicht richtig kannte und allenfalls beiläufig grüßte. Wenn er sich in meine Nähe setzte, benahm ich mich völlig unmöglich, und deshalb hielt ich mich von ihm fern, so gut es eben ging. Ein sonderbares Gesicht hatte er – wieso hatte? hat! –, und ich wünschte mir ständig, einmal mit der Hand darüberzustreichen. Ich stellte mir vor, seine Haut müsse glühend heiß sein – das ist natürlich Unsinn, aber ich habe es wirklich einmal geträumt: dass ich sein Gesicht mit meiner Hand berührte, und es war
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