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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen
Autoren: Nora Roberts
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er sich fragte, ob seine Knochen bei Einbruch der Nacht wohl aus purem Eis bestehen würden.
    Ene, mene, muh, und aus bist du, dachte er völlig zusammenhangslos.
    Er hatte zwar das Beten nicht verlernt, doch seit seinem zehnten Lebensjahr, als die sonntägliche Messe sowie die monatliche Beichte, bei der ihm, um seine sündige junge Seele zu läutern, ständig Vaterunser und Rosenkränze auferlegt wurden, nicht mehr viel Zeit darauf verschwendet.
    Doch jetzt betete er so inbrünstig wie nie zuvor, während sich der Himmel langsam rötlich verfärbte.
    »O what a beautiful morning, o what a beautiful day« , sang Annie, die über die Hügel näherkam, aus vollem Halse. »I got a beautiful feeling, everything’s going my way.«
    Sie schleifte wie üblich ihren Sack hinter sich und blickte erstaunt auf, als Cam die letzten Meter auf sie zugerannt kam. »Annie, ich hab’ auf dich gewartet.«
    »Ich war spazieren. Herrjeh, ist das heiß. Der heißeste Tag meines Lebens.« Ihr kariertes Kleid war am Kragen schweißdurchtränkt. »Ich hab’ zwei Zehner und einen Vierteldollar und eine kleine grüne Flasche gefunden. Wollen Sie mal sehen?«
    »Jetzt nicht. Ich möchte dir etwas zeigen. Komm, setz dich.«
    »Wir können reingehen. Ich hab’ Plätzchen da.«
    Cam verbarg seine Ungeduld hinter einem Lächeln. »Ich habe im Moment gar keinen Hunger. Willst du dich nicht mit auf die Stufen setzen, damit ich es dir zeigen kann?«
    »Gute Idee. Ich bin ganz lange gelaufen, und meine Beine sind müde.« Annie kicherte vergnügt, dann hellte sich ihr Gesicht freudig auf. »Sie haben Ihr Motorrad dabei! Kann ich mitfahren?«
    »Ich mach’ dir einen Vorschlag: Wenn du mir helfen kannst, dann fahren wir beide bald einmal spazieren, den ganzen Tag lang, wenn du willst.«
    »Ehrlich?« Annie tätschelte den Lenker. »Versprochen?«
    »Großes Indianerehrenwort. Komm, Annie, setz dich.« Er nahm die Zeichnungen aus der Satteltasche. »Ich möchte dir ein paar Bilder zeigen.«
    Annie machte es sich auf den gelben Stufen bequem. »Ich mag Bilder gerne.«
    »Ich möchte, daß du sie dir ganz genau anschaust.« Cam setzte sich neben sie. »Machst du das?«
    »Ja.«
    »Und nachdem du sie dir angeschaut hast, möchte ich, daß du mir sagst, ob du diesen Ort kennst. Okay?«
    »Okeydokey.« Über das ganze Gesicht grinsend, schaute Annie auf die Zeichnungen, und augenblicklich verfinsterte sich ihr Gesicht. »Diese Bilder gefallen mir nicht.«
    »Sie sind wichtig.«
    »Ich will sie mir nicht anschauen. Ich hab’ viel schönere Bilder drinnen. Soll ich sie Ihnen zeigen?«
    Cam ignorierte seinen rasenden Puls und den Drang, ihr die Hände um den Hals zu legen und sie zu schütteln. Sie wußte, wo der bewußte Platz war. Er las sowohl Wiedererkennen als auch Furcht in ihren Augen. »Annie, du mußt sie dir ansehen. Und du mußt mir die Wahrheit sagen. Du hast diesen Ort schon einmal gesehen.«
    Annie preßte die Lippen fest zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Doch, das hast du. Du warst dort. Du weißt, wo das ist.«
    »Das ist ein böser Ort. Ich gehe da nicht hin.«
    Cam vermied es bewußt, sie zu berühren, da er fürchtete, sich dann nicht mehr beherrschen zu können und ihr seine Finger ins Fleisch zu bohren. »Warum ist das denn ein böser Ort?«
    »Ist es einfach. Ich will nicht darüber reden. Ich gehe jetzt rein.«
    »Annie. Annie, sieh mich an. Na komm schon, sieh mich an.« Er rang sich ein Lächeln ab, als sie zaghaft hochblickte. »Wir sind doch Freunde, oder nicht?«
    »Doch, Sie sind mein Freund. Sie lassen mich immer mitfahren und kaufen mir Eis.« Sie lächelte ihn hoffnungsvoll an. »Es ist schrecklich heiß. Ein Eis wäre jetzt prima.«
    »Freunde helfen sich gegenseitig, und sie vertrauen sich. Ich muß alles über diesen Ort wissen, und du mußt es mir sagen.«
    Annie zögerte unschlüssig, von ihrer Furcht und dem
Wunsch zu helfen hin- und hergerissen. Die Entscheidungen, die sie traf, waren immer ganz einfach: aufstehen oder zu Bett gehen, nach Westen oder nach Osten laufen, jetzt essen oder später. Doch die Entscheidung, vor die sie nun gestellt wurde, verursachte ihr Höllenqualen. »Aber Sie verraten es niemand?« flüsterte sie schließlich.
    »Nein. Du kannst mir vertrauen.«
    »Da gibt es Monster«, murmelte sie ihm verschwörerisch zu, ein gealtertes Kind, das ein Geheimnis weitergibt. »Nachts kommen sie dahin und machen böse Sachen.«
    »Wer?«
    »Die Monster in den schwarzen Kleidern. Sie haben Tierköpfe,
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