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Die Skelettbande

Die Skelettbande

Titel: Die Skelettbande
Autoren: Stefan Wolf
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    Das Rohr lag tief unter der
Erde und hatte einen Durchmesser
von höchstens einem Meter. Es war stockdunkel dort unten. Nur ab und zu machte
es dumpf Klack-klack. Es klang, als ob jemand gegen Metall klopfte.
Woher der Laut kam, war nicht zu erkennen. Ebenso wenig konnte Julius sich
dieses seltsame, gurgelnde Geräusch erklären. Es klang, als würde jemand über
ihm eine Klospülung betätigen. Aber das war nicht möglich, denn das große
Bürohaus, das hier einmal gestanden hatte, war schon lange abgerissen worden.
    Julius wollte nur noch raus.
Warum hatte er sich überhaupt auf so eine Sache eingelassen?, dachte er. Seit
einer halben Stunde robbte er nun schon auf allen vieren durch das Abflussrohr.
Es erschien ihm wie eine Ewigkeit. Dass es so schlimm werden würde, hätte er
sich nicht träumen lassen, als er auf dem Schuttplatz nach unten gestiegen war
und seine Freunde ihm Glück gewünscht hatten. Er fühlte sich wie ein Maulwurf,
der sich einen Gang durch das unterirdische Erdreich buddelte.
    »Du musst lernen, deine Angst
in den Griff zu kriegen, sie zu kontrollieren. Das alles findet nur in deinem
Kopf statt. Wenn du das Tageslicht wieder erblickst, wirst du ein anderer
sein.« Samten und einlullend wie von einem Hypnotiseur hatte die Stimme des
Anführers geklungen, als er das gesagt und ihn nach unten geschickt hatte. An
diese Worte erinnerte sich Julius wieder, als sich ihm plötzlich die Kehle
zuschnürte. Aus Horrorfilmen kannte er dieses Phänomen, wenn der Held von
Panikattacken heimgesucht wurde, weil man ihn irgendwo in einem dunklen Raum
gefangen hielt oder er in einem Fahrstuhl stecken geblieben war. Man nannte das
Klaustrophobie, eine Angst, die Menschen in zu engen oder geschlossenen Räumen
häufig überfiel. Er hatte plötzlich schreckliche Panik zu ersticken.

    Schweißperlen bildeten sich auf
seiner Stirn. Jetzt begriff er, was der Anführer gemeint hatte: »Der Weg zum
Ziel trennt die Spreu vom Weizen, den Sieger vom Verlierer«, hatte er gesagt.
Julius wusste, dass er zu den Verlierern gehören würde, wenn er jetzt aufgab. Und
das wollte er auf gar keinen Fall. Er wollte es allen zeigen, weil er dabei
sein wollte. Unbedingt. Bei dieser verschworenen Gemeinschaft, vor der bald
alle Respekt und Angst haben würden. Das hatte der Anführer ihnen versprochen.
Aber um dazuzugehören, musste man großen Mut, Biss und Durchhaltevermögen
zeigen. Das war nichts für Schlappschwänze. Also kroch er weiter.
    Plötzlich huschte ihm etwas
Pelziges über seine Füße. Eine Ratte! Der Gedanke ließ ihn erschaudern! Er biss
die Zähne zusammen, legte an Tempo zu und kroch schneller und schneller. Da! In
der Ferne tauchte ein Lichtpunkt auf. Oder hatte er sich das nur eingebildet?
    Er steigerte sein Tempo und
robbte immer schneller auf den Lichtpunkt zu. Jetzt spürte er einen leichten
Luftzug. Heftig atmend und mit schmerzenden Ellenbogen gelangte er schließlich
zu einem Kontrollschacht, von dem aus eine Leiter in die Freiheit führte. Er
kletterte sie eilig hoch und klopfte mit der Faust fest gegen den Gullydeckel,
der den Weg nach draußen verschloss.
    Zunächst passierte gar nichts,
doch als er ein zweites Mal dagegenhämmerte, bewegte sich der Deckel
quietschend Stück für Stück zur Seite. Jetzt konnte Julius den klaren
Sternenhimmel sehen. Gierig sog er die frische Luft, die hereinströmte, in
seine Lungen. Seine Freunde johlten laut, als er aus der Kanalisation
herauskraxelte. Sie gruppierten sich um ihn herum in einem Kreis und klopften
ihm anerkennend auf den Rücken. Einige hielten sich zum Spaß die Nase zu, weil
er von oben bis unten mit Schlamm bedeckt war und schrecklich stank. Julius
grinste wie ein Breitmaulfrosch übers ganze Gesicht. Er hatte es geschafft! Er
hatte den Test bestanden! So wie die anderen bereits vor ihm.
    Der Mond stand hell am Himmel
und erleuchtete den Schuttplatz, auf dem Berge von Geröll lagerten und die
Ruinen des nur teilweise abgerissenen Bürogebäudes bedrohlich in den Himmel
ragten. Julius schaute sich erwartungsvoll um. Wo steckte er? Jetzt fehlte nur
noch der »Ritterschlag«. So nannte es die Gruppe ehrfurchtsvoll, wenn jemand als
Mitglied in ihre Mitte aufgenommen wurde. Und diese heilige Handlung durfte nur
einer vollziehen — der Anführer.
    Alle verstummten, als eine
Stimme ertönte und eine dunkel gekleidete Gestalt in den Kreis trat. »Du hast
das getan, wovor du dich am meisten gefürchtet hast.« Der Anführer trug einen
breitkrempigen
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