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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond
Autoren: Susanne Picard
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ein – und wenn, dann dieses Mal zu seinen Gunsten.
    Er nickte langsam. »Ich verstehe.«
    Die Miene des Hauptmanns war wieder unbewegt, als er sagte: »Dann folge mir.«
    Sinan ignorierte den Wachtposten, der neben ihm stand, und ging entschlossen hinter dem Hauptmann her. Dieser gab sich keine Mühe, seine schnellen und langen Schritte den seinen anzupassen. Sinan war ein durchtrainierter Mann, der es an Kraft problemlos mit einem einfachen Elbensoldaten hätte aufnehmen können. Dennoch keuchte er schon nach kurzer Zeit ob des Tempos, das der Hauptmann an den Tag legte.
    Sie erreichten das eigentliche Heerlager der elbischen Soldaten. Nur wenige waren während der letzten Stunde des Tages noch vor ihren Zelten. Doch die, die es waren, zollten dem Hauptmann eine solche Ehrerbietung, dass Sinan klar wurde: Dieser Mann war weit mehr als nur ein einfacher Hauptmann des Heers.
    Doch bevor er länger darüber nachdenken konnte, kamen sie in der Mitte des Lagers an. Das königliche Zelt war größer als die anderen, denn es diente auch für Besprechungen und Audienzen. Es war von einem ausgeblichenen dunklen Grün; auf dem Dach hing ein Banner mit dem Wappen des Königs. Obwohl Sinan es in der zunehmenden Dämmerung nicht sehen konnte, wusste er, dass es ein aus Wolken geformter Baum war – das Zeichen der Elben aus dem Hause Norandar.
    »Warte hier«, befahl der Hauptmann und verschwand im Zelt.
    Sinan blieb allein zurück.
    Seine grimmige Euphorie erlosch. Die Elben in seiner Nähe hatten gesehen, dass der Hauptmann ihn mitgebracht hatte. Dasbewahrte ihn davor, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass er sich vor dem Zelt des Königs herumtrieb.
    Und doch sorgten die mitunter reglosen oder hasserfüllten Blicke dafür, dass die Angst, die Menschen in der Gegenwart von Elben unweigerlich befiel, wie eine Spinne seinen Nacken hinaufkroch und einen klebrigen Faden der Furcht nach dem anderen um den Mut schlang, der ihn aufrecht hielt. Er hatte wilde Freude empfunden, als der Hauptmann ihm die Gelegenheit geboten hatte, zumindest einem der beiden Herrscherbrüder näherzukommen. Doch jetzt umklammerte kalte Angst Sinans Herz.
    So lange war er auf der Flucht gewesen, immer hatte er verbergen können, wer er war, aus welchem Haus er stammte. Nur wenige hatten es gewusst und niemand in Kharisar. Doch jetzt schien das Ende zu nahen. Immer war er geflohen, nie war er lange an einem Ort geblieben, immer aus Furcht, Tarind könnte entdecken, dass der Sohn des Menschenfürsten Siwanon noch lebte.
    Sinan hatte versucht, den Tag zu vergessen, an dem diese Flucht begonnen hatte. Doch nun, hier, vor dem Zelt des Königs von Norad, bröckelte die Mauer, die in seiner Seele die schrecklichen Wunden umgab, die jener Tag in ihm hinterlassen hatte.
    Sinan ballte die Fäuste. Doch die Bilder stiegen so unerbittlich in ihm auf wie Blasen in kochendem Wasser.
    Der Geruch der Schwarzsteinbecken.
    Das Rascheln der Roben, die kaum hörbare Stimme des Vaters, der die Gebete spricht, mit denen ein Seelenherr den Segen des Dunklen Mondes für seinen Sohn erfleht.
    Das Lächeln der geliebten kleinen Schwester. Ihre bernsteingelben Augen, in denen das überschäumende Temperament einer reinen Feuermagierin funkelt. Ihre Blicke folgen ihm neugierig und auch ein wenig neiderfüllt, als er allein ins Allerheiligste des Tempels geht.
    Die Stille dort, die dunklen Strahlen des Akusu, die ihn umfangen und schließlich so heiß werden, dass sie ihm das Zeichen auf d ie Haut brennen, das ihn für immer als Gebieter über die Erze der Erde ausweisen wird.
    Dann wird die Luft plötzlich kalt und feucht, kälter und feuchter, als sie es westlich des Saphirmeeres je zuvor wurde. Panik steigt in Sinan auf, löscht das angenehme Feuer in seinem Arm, und rasch verbirgt er sich hinter einem Sims, das ihm durch ein durchbrochenes Element in der Wand den Blick nach draußen gestattet
    Eine Stimme, hart und glatt wie Eis. Sinan weiß, wem sie gehört, durch das Loch in der gelben Granitmauer kann er den Sprecher deutlich sehen. Es ist Tarind, der Sohn Dajarams von Norad. Die Elben nennen Dajaram Norandar ihren König, ein Konzept, das die Menschen nicht kennen. Sie haben keinen obersten Herrscher.
    Die ruhigen Antworten des Vaters. Dann, schneller, als er reagieren kann, Schreie, Waffenklirren, dumpfe Schläge, Kriegsrufe. Der gelbe Granit um ihn herum färbt sich dunkelrot. Das Schwert Tarinds kennt kein Erbarmen und tötet rascher, als ein Mensch reagieren
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