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Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Titel: Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
Autoren: Karsten Kruschel
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1. Geteilte Aufmerksamkeit
    Er konnte sich nicht konzentrieren, obwohl der Regen rauschte wie immer und in den Rohren das vertraute Gurgeln zu hören war, während das Wasser seine vielfältigen Dienste verrichtete. Natürlich wusste Than genau, warum er abgelenkt war. Seine Gedanken wollten zu seiner Schwester hinübergleiten, die – nicht ohne seine Mithilfe – zu einer Reise aufgebrochen war, die sie nicht hätte antreten dürfen. Nicht, wenn es nach den Alten ging.
    Ging es aber nicht.
    Er kletterte kopfunter den Schacht empor, stemmte sich hoch bis zu der Stelle, wo er den defekten Verteiler vermutete. Die kräftigen Laufpfoten gegen die Wand gedrückt, hielt er seinen Körper in einer Lage fest, die die meisten seiner Artgenossen äußerst unbequem gefunden hätten. Vorsichtig betasteten die Mittelpfoten die Stelle. Genau. Er hatte es sich gedacht. Wieder so ein verdammter Verteiler.
    Unten kramte seine menschliche Hälfte im Werkzeugkasten und reichte das Benötigte hinauf. Während Than die Messgeräte fixierte, mit diesen scharfen, maulartigen Klemmen, fragte er sich, ob mit Brink alles in Ordnung war. Sie hatte eine gewisse Tendenz dazu, in Schwierigkeiten zu geraten.
    Nachdem die Sensoren sich an den richtigen Stellen festgebissen hatten, strömten Daten über die Anzeige des kleinen Rechners, den Than-A nun auf den Knien balancierte. Er seufzte. Immer dasselbe.
    Während er sich einen Plan für die Reparatur zurechtlegte, amüsierte er sich wie üblich, dass der Seufzer aus zwei Kehlen zugleich gedrungen war, ein helles, enttäuschtes Geräusch von unten und ein dumpfes, leicht bedrohliches Knurren von oben. Als Hintergrundmusik dazu blubberte und zischte der endlos fallende Regen in seinen Rohren. Sonate für Abfluss, Klempner und Himmelhund, dachte Than.
    Als nächstes griff er auf das Steuerwerk des Rohrsystems zu und schloss allerlei Ventile, die die Leitungen in diesen Bereich hier versorgten, dann überzeugte er sich, dass der in Frage kommende Sektor trocken fiel. Warnsignale blitzten auf. Jemandes wasserfallgetriebene Stromversorgung fiel aus. Ein hydroponisches Gewächshaus alarmierte seinen Besitzer, dass der Nachschub ausbleibe. Sollte es doch. Was war überhaupt ein hydroponisches Gewächshaus?
    Die Leute wussten, dass es in der Stadt überall diese Rohrnetze gab, in denen permanent der Regen herumgurgelte. Es gab immer und jederzeit Wasser. Es gab Wohnungen, in denen die Kloschüssel unaufhörlich von einem feinen Feuchtigkeitsfilm durchrieselt wurde. Weil es sauberer aussah. Es gab Behausungen, in denen der Regen – widersinnigerweise – Entfeuchtungsanlagen antrieb. Und dann waren da die Verrückten, die aus verborgenen Düsen in ihrem Wohnzimmer Vilmwasser versprühten, weil ihnen die Luft sonst zu trocken wurde.
    Sogar auf dem Regenplaneten konnte man es mit der Heimatliebe übertreiben.
    Das hatte Brink gesagt. Sie brachte manchmal Sprüche, auf die Than im Leben nie gekommen wäre. Sie galt sowieso als die Aufgeweckteste der drei Vierlinge, die sich einmal im Jahr trafen, um des bei der Geburt gestorbenen Geschwisters zu gedenken.
    Than regulierte seine Gedanken wieder herunter auf das, was er hier in Ordnung zu bringen hatte. Nachdem die Leitungen sich ausgetröpfelt hatten, schraubten seine Mittelpfoten geschickt an den Installationen herum. Than-A warf jeweils im richtigen Augenblick das passende Werkzeug hinauf, und genauso sicher fing er alles auf, was als überflüssig von oben herabsauste. Es war lange her, dass Than sich selbst mit unachtsam herumfliegenden Metallteilen verletzt hatte.
    Er hob den Revisionsdeckel ab und spähte in das Innenleben des Verteilers. Natürlich. Da war etwas, das dort nicht hineingehörte. Leider.
    Die Mittelpfoten reichten nicht tief genug hinein. Er rutschte ein Stück herum, stemmte seinen Körper fest gegen die Seitenwände des Schachtes und langte mit der stärkeren Vorderpfote nach dem bedauernswerten Geschöpf.
    Es schlug in den ausgestreckten Händen von Than-A auf wie das Opfer auf dem Altar eines grausamen Gottes. Ein Vogel. Eines jener seltenen Wesen, die es in der ewig nässetriefenden Regenwelt geschafft hatten, sich in die Lüfte zu erheben. Es sah mehr nach einer windschnittigen Fledermaus aus als nach einem Vogel, wie ihn die Datenbanken beschrieben. Ein Wolkentaucher. Eine Spezies, die es wirklich schwer hatte auf ihrer Heimatwelt und dementsprechend selten war. Dieses Exemplar war in die Regensammler oben auf den Dächern geraten
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