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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond
Autoren: Susanne Picard
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Gefühl, die Luft um ihn herum sei zu kalt, um sie zu atmen. Sie schmerzte in den Lungen, mit jedem Atemzug mehr. Es war, als könne sein Körper mit dem so lebensnotwendigen Element umso weniger anfangen, je mehr davon seine Lungen in sich hineinsogen.
    Für einen endlos scheinenden Augenblick glaubte Sinan, er müsste ersticken. Kälte rann durch seine Adern und ließ das Blut langsamer zirkulieren. Er konnte die Augen nicht von dem Elb abwenden, der ihn mit seinen seltsam grünen Augen unverwandt ansah, und Sinan glaubte, um seine Mundwinkel ein Zucken zu bemerken. Doch vielleicht war das nur eine Täuschung, denn im nächsten Augenblick senkte der Elb den Kopf und spuckte aus.
    Sofort ließ der Druck in Sinans Lungen nach.
    Weil ihm das Herz bis zum Halse schlug, gelang es ihm nicht, genügend von der plötzlich wieder dünnen und wärmeren Luft einzuatmen. Sinan spürte kaum, dass seine Knie nachgaben. Er sank laut keuchend zu Boden.
    Jetzt ließ auch Githalad Sinans Schulter langsam los, jedoch nicht, ohne ihm noch einen mahnenden Stoß zu versetzen.
    »Du hast noch Glück gehabt«, zischte er. »Vergiss nicht: Wir sind Menschen. Wir sind nicht wie sie auf den Tod aus.« Dann ging der Ältere wieder zu der Stelle, an der er nach einem etwas felsigeren Untergrund gesucht hatte.
    Sinan blinzelte die Nässe fort, die von den Hunderten kleinen Zöpfen, zu denen sein Haar geflochten war, rann, und zwang die heiße Wut über seine Hilflosigkeit mühsam nieder. Die Vorstellung, den Elben in einem Strom glühender Lava sterben zu sehen, half ihm dabei.
    Er holte noch einmal tief Luft und setzte an einer anderen Stelle seine Suche fort. Langsam verrauchte sein Zorn, und die Vernunft kehrte zurück. So sehr es ihm auch missfiel, Githaladhatte recht. Die Elben maßten sich an, die Herren über Leben und Tod zu sein. Dafür hasste Sinan sie.
    Doch es wäre falsch gewesen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
    Kurz bevor die Rote Stunde anbrach, begannen die Elben, ihre Gefangenen zusammenzutreiben und ins Lager zurückzubringen.
    Am Horizont, wo der Regen den ganzen Tag Erde und Himmel hatte ineinander verschwimmen lassen, hatte die Weiße Sonne nun die Wolken aufgerissen. Gleißende Strahlen erhellten die Steppe. Das Licht war rosig, doch es wurde rötlicher, je tiefer die Weiße Sonne sank. Bald würde nur noch die Rote Sonne am Himmel stehen.
    Sinan war froh, dass der Regen nachgelassen hatte. Es tröpfelte noch vereinzelt aus düsteren Wolken, die dort, wo die endlose Hügelkette an den Himmel stieß, wie die Glut in der Esse seiner Schmiede aufleuchteten.
    Sinan hob den Kopf in Richtung des Lichts, das durch die Wolken brach. Seine Kleidung und die der anderen war trotz der Sonnenstrahlen durchweicht, aus dem Haar tropfte ihnen das Regenwasser. Beides begann in der zunehmenden Wärme zu dampfen.
    Doch Sinan wusste, dass kaum Hoffnung bestand, beides über Nacht im Lager trocknen zu können. Die Elben erlaubten den menschlichen Gefangenen kein Feuer. Dafür gab es mehrere Gründe; einer war, dass die Elben das Feuer oft noch mehr fürchteten als die Kräfte der Erde oder die Macht über die Tiere, die viele Menschen besaßen. Umso mehr genoss Sinan die schwache Wärme, die von den wenigen purpurfarbenen Strahlen ausging, die durch die schmalen Wolkenspalten drangen.
    Für Sinan hätte das Feuer eher praktischen Nutzen gehabt. Es regnete bereits seit dem Aufbruch von Kharisar vor zwei Zehntagen fast ununterbrochen. Es gab Gefangene im Lager, die behaupteten, der Regen sei den Wassermagiern des Königs zu verdanken und diene nur dazu, die Feuermagier unter den Menschen zu schwächen.
    Sinan teilte diese Meinung nicht. Der Fluss hatte es ihm bestätigt: Die Natur selbst war in Aufruhr. Wenn man eine fremde Macht hinter den Geschehnissen vermuten wollte, dann wohl den Schöpfergeist der Zerstörung.
    Die Elben wussten, dass die Menschen in ihrem Heerzug nicht fliehen konnten, denn ein schmales goldfarbenes Kettchen war jedem von ihnen um den Hals gebunden worden. Diese Ketten – jede von ihnen eher ein schmales Band – waren nicht aus Metall, sondern einem anderen Stoff. Sinan hatte gesehen, dass er aus den giftigen Rindenfasern der Resatpflanze hergestellt wurde, aber an der meist gefleckten oder dunklen Haut der Menschen sah es so aus, als sei es aus dem Licht des Goldenen Mondes gewirkt.
    Sinan empfand das Band, so leicht und zierlich es auch war, als eine Last. Er war ein Mensch, ein Magier des Feuers und der Erde
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