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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond
Autoren: Susanne Picard
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liebte. Sie rangen lange Zeit um die Vorherrschaft, und es war Syth, der diesen ersten Kampf gewann. Das Ei explodierte, und dabei entstanden durch die Kräfte von Ys und Syth Meer und Land, Licht und Dunkel, Schöpfung und Verderben.«
    Von der Schöpfung der Welt
    Erste Rolle der Schriften des Klosters der Weisen Zwölf
    S inan setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.
    Der Boden unter ihm hätte jederzeit nachgeben können, so dicht befand er sich an der Bruchkante des Steilufers. Die rotbraune Erde unter ihm war durchtränkt vom Regen, der nun schon tagelang anhielt und auch jetzt unablässig auf Sinan fiel. Das Wasser tropfte an ihm herab, rann ihm aus dem Haar und ließ seine lederbesetzte Tunika schwer wie Blei am Körper kleben.
    Es war, als wolle selbst der Himmel nicht, dass er vergaß, wer er war: ein Gefangener des Elbenkönigs.
    Die Worte schmeckten bitter wie Galle in Sinans Mund.
    Vor noch gar nicht so langer Zeit war er ein freier Mann gewesen. In Kharisar, der nördlichsten Stadt der
     Menschen, im Reich des Khariten, des Herrschers von Erathi, hatte er ein ruhiges Leben geführt.
    S o ruhig das Leben eines Mannes, der auf der Flucht ist, sein kann.
    Sinan straffte stolz die Schultern. War man je freier als auf der Flucht? Wenn niemand erfahren durfte, wer man war? Die Entscheidungen fielen in solchem Falle leichter, waren unabhängig von allen Einflüssen.
    Doch dieses Leben gab es nicht mehr. Jetzt war er ein Sklave der Elben.
    Tarind, ihr König, war mit seinem Heer gekommen und hatte die endlosen Steppen von Erathi mit Krieg und Vernichtung überzogen. Kharisar war erst belagert und schließlich grausam erobert worden. Sinan hatte in seiner Schmiede versucht, seine Nachbarn zu retten, doch als die elbischen Soldaten gekommen waren, hatte auch er sie nicht schützen können. Nur er und der Sohn seiner Nachbarin waren am Leben geblieben – Sinan, weil er als Schmied den Elben von Nutzen sein konnte, Hedruf, weil Sinan behauptet hatte, seine Arbeit sei nur mit einem Gehilfen möglich.
    So viel Blut, so viele Tote, so viel Leid, das er hatte mit ansehen müssen.
    Sinan versuchte, die Bilder des Massakers in seiner Schmiede zu verdrängen. Nicht zum ersten Mal hatte er erleben müssen, wie grausam Elben den Menschen gegenüber waren. Für einen Augenblick schloss er die Augen, um die brennenden Tränen dahinter zurückzuhalten.
    Sinan trat noch ein wenig näher an die Bruchkante des Abhangs. Er hatte keine Angst, abzustürzen. Tief in seinem Inneren ertappte er sich bei dem Wunsch, der Boden möge unter ihm nachgeben und ihn in die Tiefe reißen, wie wenige Tage zuvor die Hängebrücke. Er wäre nicht länger ein Gefangener gewesen. Lieber tot als versklavt!
    Doch die Elben vergalten Selbstmord und Tod eines menschlichen Gefangenen in ihrem Heer mit der Hinrichtung derer, die ihnen als Sklaven von geringerem Nutzen waren.
    Sinan war ein fähiger Waffenschmied, das wussten die Elben, und so musste er tagaus, tagein ihre Harnische reparieren und Schwerter schärfen. Er wusste, wenn er sich leichtfertig in Gefahr begab und umkam, würde Hedruf dafür büßen müssen. Hedruf, den er während Kharisars Eroberung als Einzigen vor dem sonst sicheren Tod hatte bewahren können.
    Er sah sich noch einmal vorsichtig zu den Wachen um, die in einiger Entfernung unter einem verkrüppelten Baum saßen und ihn und die anderen Menschen misstrauisch beobachteten. Dann ballte er die Hände zu Fäusten und spähte über die Kante hinweg in die Tiefe.
    Hier am Rand der Klippe stand ein Baum, doch wahrscheinlich war er nicht tief genug im regenweichen Boden verwurzelt; als Brückenkopf taugte er nicht. Sinan musste herausfinden, wie tief das Wasser in die Erde vorgedrungen war und ob Teile des Wurzelwerks offenlagen.
    Seit Stunden schon suchte er am Steilufer des Lithon nach einer Möglichkeit, das Fundament für eine Behelfsbrücke zu legen. Seit einem Zehntag schickten die Soldaten ihn und andere menschliche Gefangene am Steilufer auf die Suche nach einem geeigneten Platz, denn die Brücke, die hier seit Generationen über den Lithon geführt hatte, gab es nicht mehr. Und doch wollte der König der Elben den Fluss an dieser Stelle überqueren, denn weiter südlich begannen die Berge, die er mit seiner Armee mied. Er war auf dem Weg in die Hauptstadt. Von dort wollte er zu einem weiteren Feldzug aufbrechen, dem letzten. Danach würden die Reiche der Menschen aufgehört haben zu existieren.
    Sinan verdrängte erneut
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