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Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)

Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)

Titel: Lizenz zum Töten: Die Mordkommandos der Geheimdienste (German Edition)
Autoren: Egmont R. Koch
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Vorwort
    Im Januar 2012, als gerade erste erschreckende Informationen über die mörderische Drohnenkampagne des US-Geheimdienstes CIA durchsickerten, der im Jahr zuvor in Waziristan (Pakistan) mehr als fünfhundert Menschen zum Opfer gefallen waren, gab das ZDF eine repräsentative Umfrage in Auftrag. Der Fernsehsender wollte damit ein neues Dokumentationsformat bewerben, dessen erster Beitrag unter dem Titel »Der Spion, den ich liebte« neue Einblicke in die illustre Welt der James Bonds dieser Welt versprach. Von Waziristan war in dem Stück natürlich keine Rede. Dafür machten die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sprachlos: 54 Prozent aller Deutschen seien der Meinung, dass auch der deutsche Geheimdienst, ähnlich wie CIA und Mossad, eine »Lizenz zum Töten« benötige; in der Generation der unter 24-Jährigen liege die Bereitschaft, Killerkommandos zu akzeptieren, sogar bei siebzig Prozent.
    Die Erhebung ruft Erinnerungen an frühere Umfragen wach. Darin ging es um die Frage, ob in Deutschland für bestimmte Delikte die Todesstrafe eingeführt, also auf der Basis entsprechender Gesetze Schwerverbrecher, Sexual- und Kindesmörder hingerichtet werden sollten. Während sich noch 1977 zwei Drittel aller Bundesbürger dafür aussprachen, sank der Anteil in den nächsten Jahrzehnten drastisch; 2007 votierten 76 Prozent gegen die Todesstrafe.
    Glaubt man der neuen Erhebung, hält eine Mehrheit so etwas wie eine Todesstrafe durch die Hintertür heute wieder für akzeptabel, nicht offiziell, denn das widerspräche dem liberalen, aufgeklärten Zeitgeist, sondern gewissermaßen inoffiziell, als erweiterte Befugnis für Agenten und Elitekräfte, die im Dunkeln operieren. Könnten sie nicht, wie in den Vereinigten Staaten oder in Israel, die Drecksarbeit fürs Vaterland übernehmen, um Terrorgefahren abzuwehren, ohne die freiheitliche, offene, humanistisch geprägte Gesellschaft gleich aufs Spiel zu setzen? Wäre Mord im Auftrag des Staates in Deutschland wirklich mehrheitsfähig? Kann es sein, dass sieben von zehn Jugendlichen aus der »Generation Ballerspiele« es für völlig okay halten, dass ihre Regierung Spezialkommandos aufstellt und Exekutionsaufträge erteilt?
    Als am 27. Juni 1993 auf dem einsamen Provinzbahnhof von Bad Kleinen eine Festnahmeaktion der GSG 9 gegen die RAF-Spitze aus dem Ruder lief und der mutmaßliche Linksterrorist Wolfgang Grams zu Tode kam, keimte innerhalb weniger Tage der Verdacht auf, er sei von einem oder zwei Beamten der GSG 9 regelrecht exekutiert worden. Monatelang zog sich die Diskussion hin, viele Medien witterten mindestens einen Affektmord, die Gerüchte fanden immer wieder neue Nahrung, weil es unvorstellbare Versäumnisse des Bundeskriminalamts und eine groß angelegte Vertuschung (über die Rolle eines V-Manns) gab. Als sich nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen schließlich unzweifelhaft herausstellte, dass sich Grams mit seiner eigenen Waffe gerichtet hatte, ging ein erleichtertes Aufatmen durch die Republik. Die Elitepolizisten hatten nicht getötet, weder mit Vorsatz noch im Affekt.
    Zwanzig Jahre und viele Terroranschläge später haben sich die Maßstäbe offenbar verschoben. Sicherheit scheint heute vor Rechtsstaatlichkeit zu gehen. Gezieltes Töten ist nach dem Gesetz Mord, es sei denn, es existiert eine konkrete Notwehrsituation. Es gibt den finalen Rettungsschuss der Polizei, der in entsprechenden Vorschriften fixiert und definiert wurde: Demnach ist eine gezielte Tötung als ultima ratio nur zulässig, wenn sie »das einzige Mittel zur Abwehreiner gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung oder körperlichen Unversehrtheit ist« (so steht es in vielen Landespolizeigesetzen). Die Bundeswehr darf in einem bewaffneten Konflikt oder Krieg gezielt gegnerische Soldaten töten, bewaffnete Zivilisten nur, sofern und solange sie unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt sind. Ein Drohnenangriff zur Unterstützung der eigenen Bodentruppen im Rahmen von militärischen Auseinandersetzungen wäre wohl gerechtfertigt, jede gezielte Attacke auf Menschen, deren unmittelbare Beteiligung an Kampfhandlungen nicht sicher ist, sondern nur vermutet wird, oder deren Beteiligung gar nicht unmittelbar, sondern vielleicht erst Wochen, Monate später erfolgen soll, wäre jedoch ein Bruch des internationalen Völkerrechts. Die Deutungshoheit liegt allerdings immer beim Angreifer. Er kann behaupten,
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