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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond
Autoren: Susanne Picard
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jedes Mal ins Gegenteil um. Es wird heller. Das sanfte, rötliche Licht weicht grellen, silbrig-goldenen Strahlen, die durch die jäh geöffneten Türflügel des Tempelraums hereinströmen.
    Sanara schaudert. Eiskalter Wind umweht sie und vertreibt die trockene Wärme auf ihrer Haut. Angst erfasst sie so plötzlich, dass sie aufstehen und fliehen will, bis sie begreift, dass der Weg durch die einzige Tür des Tempels versperrt ist.
    Versperrt von den Feinden der Menschen, den Feinden des Reiches Guzar, dessen Fürst ihr Vater ist. Sie kennt die Soldaten nicht, die nun mit festen Schritten auf ihn und den Ältesten zukommen. Ihre Anführer tragen silbrig glänzende Kettenhemden mit leuchtend blauen Waffenröcken darüber.
    Die Luft, die Sanara atmet, ist auf einmal so von Feuchtigkeit geschwängert, dass sie zu ersticken, ja, zu ertrinken glaubt. Ein eindringlicher Geruch nach weißen Wasserlilien, fremd in diesem Tempelraum, breitet sich zusammen mit eisiger Winterkälte aus, und wieder überkommt Sanara der Drang zu fliehen. Die Angst kriecht zusammen mit der Kälte bis in ihre Knochen. Sieweiß, sie darf keine Sekunde länger hier bei den fremden Soldaten bleiben!
    Sie will blind davonrennen, doch da packen sie zwei kräftige Hände. Sie will aufschreien, doch sie spürt die Trockenheit und Wärme der Finger, die sich um ihre Schulter und auf den Mund gelegt haben. Es ist einer der Shisans, der sie von ihrem Vater, dem Ältesten und den beiden fremden Soldaten fort in die Schatten des Altars zieht.
    Sanaras Panik lässt nach, als der Shisan etwas von seiner Körperwärme in sie fließen lässt. Angst und Kälte werden vertrieben, sodass sie sich beruhigt und den Anführer der Fremden genauer betrachten kann. Es ist ein hochgewachsener Krieger, dessen rabenschwarzes Haar ihm weit den Rücken hinabfällt. Nur auf dem Hinterkopf hat er einen kleinen Knoten hineingedreht. In der schlanken Hand hält er ein Schwert. Es ist leicht gekrümmt, nicht gerade wie das ihres Vaters. Die blassen, langen Finger umschließen locker das Heft.
    Ihr Blick wandert zu seinem Gesicht. Seine Züge sind gleichmäßig und edel, und seine Haut ist nicht dunkel oder von Sommerflecken gezeichnet, wie es die der Menschen meist ist, sondern hell und eben wie die Oberfläche einer Perle. Sanara erinnert sich an die Worte ihres Lehrers, der von den Elben erzählte: dem Volk des Goldenen Mondes. Sie seien schön von Gestalt und Angesicht und würden weit älter und stärker als die Menschen, denn sie beherrschten die Kräfte des Lebens. Sie seien Magier des Wassers und des Windes, aber auch einer Kälte, die den Menschen fremd sei.
    Sanara begreift, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Elben sieht. Einen Fürsten dieses Volkes.
    Doch als sie ihm in die Augen sieht, muss sie alle Kraft aufbieten, um nicht vor Entsetzen aufzuschreien. Unwillkürlich entfährt ihr ein Schreckenslaut, der den Krieger dazu veranlasst, sich nach ihr umzudrehen.
    Die Augen, die er auf sie richtet, haben die grausam klare Farbedes frühen Morgenhimmels, wenn die Purpursonne noch nicht aufgegangen ist und nur die grellweiße Sonne ihre Strahlen in die Welt schickt. Eine Stunde, die hier im Kloster des Westens in geschlossenen Räumen verbracht wird, da es die Stunde der Elben ist und den Menschen nach altem Aberglauben magische Kraft entzieht. Die Pupillen in diesen blauen Augen gleichen einem liegenden Arka-Nusskern, was sie noch fremdartiger wirken lässt.
    Das Lächeln, das seine schmalen Lippen umspielt, ist verächtlich, als sein Blick auf Sanara fällt. Sie spürt, wie flammende Wut darüber die kalte Angst in ihr verdrängt. Welches Recht hat er, hier einzudringen und sie   – die Tochter eines Fürsten!   – zu verachten? Sie richtet sich auf und erwidert den Blick des Kriegers so stolz wie möglich.
    Seine Mundwinkel zucken, doch dann wendet er sich wieder ihrem Vater zu.
    »Fürst Amadian!« Seine Stimme ist wie ein klarer Hochgebirgsbach, dessen Wasser weich ist und dennoch Steine zu schleifen vermag. »Ihr könnt Euch sicher denken, warum ich hier bin. Ich fordere endlich den Tribut von Euch, der mir als neuer König zusteht und den Ihr mir bisher schuldig geblieben seid!«
    Ihr Vater gibt nicht nach. »Mein Reich ist Euch nichts schuldig, Prinz Tarind«, erwidert er ruhig.
    Ein Ruck geht durch den hochgewachsenen Elben, als der Fürst ihm den Königstitel verweigert.
    Der Älteste stellt sich neben Siwanon Amadian. »Die Herrschaft kann Euch nie
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