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Dunkelmond

Dunkelmond

Titel: Dunkelmond
Autoren: Susanne Picard
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kann.
    Und doch dauert es viel zu lange.
    Als Sinan bemerkt, dass der Vater nicht eingreift, spürt er Zorn. Es ist ein Zorn, von dem er noch nicht weiß, dass er nie wieder verlöschen wird.
    Siwanon steht still wie eine Statue da. Er wird vom Begleiter des Königs an Handgelenk und Nacken festgehalten, ja, doch der Vater ist ein Seelenherr. Er hat die Macht über den Tod! Sinan ist sicher, dass sein Vater Tarind und den anderen Mördern mit einem einzigen Wort den Garaus machen und die anderen retten könnte.
    Doch es ist, als wolle sein Vater das nicht. Erst, als alles vorbei ist, sinkt er auf die Knie, als habe er keine Knochen im Leib. Er wehrt sich nicht, als der Begleiter des Königs ihn im Nacken packt und schließlich mit sich zerrt.
    Dann herrscht Stille. Stille, die in Sinans Ohren dröhnt und in die sich nur langsam unendlich leises Weinen –
    »Bist du der Schmied, den zu suchen ich Gomaran ausgeschickt habe?«
    Sinan kannte diese Stimme. Sie ließ ihn bis ins Mark schaudern.
    Ich werde Euch zwingen, wenn Ihr es nicht freiwillig tut, Fürst Siwanon.
    Er konnte einen Schreckenslaut nicht unterdrücken und fuhr herum. Beinahe wäre er gefallen, doch er fing sich und richtete sich auf. Mühsam versuchte er, seinen Herzschlag und seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
    »Ja!«, stieß er hervor, als er sich etwas gefasst hatte.
    Ohne ein weiteres Wort ging der Elb, der diese Worte an ihn gerichtet hatte, an ihm vorbei. Der Luftzug, der dabei entstand, war so kalt wie die jenseitige Leere.
    Sinan schauderte erneut. Dann spürte er einen Stoß im Rücken. Der Hauptmann bedeutete ihm, seinem Herrn zu folgen.
    Sinan gehorchte unwillkürlich und versuchte, während der wenigen Schritte zum Zelt des Heermeisters die Erinnerungen an den grausamen Tag seiner Weihe abzuschütteln. Vor dem zurückgeschlagenen Tuch des Eingangs blieb er stehen. Immer noch saß die Spinne der Angst spürbar in seinem Nacken. Er konnte sich nicht überwinden, ins düstere Innere zu treten. Es war, als führte man ihn zum Richtblock.
    Wider alle Vernunft fragte sich Sinan, was wäre, wenn Tarind ihn damals doch gesehen und sein Wissen weitergegeben hatte. Immer wieder hatte Sinan gehört, wie sehr er seinem Vater gleiche. Vielleicht hatte man ihn längst erkannt. Nicht jeder Schmied trug das Zeichen des Akusu, allein das musste ihn schon verdächtig machen.
    Ein weiterer Stoß machte ihm klar, dass er keine Wahl hatte. Zögernd betrat er das Innere des Zelts. Es war dämmrig, nur von wenigen goldfarbenen Lampen erhellt. Nach einer Weile hatte er sich an die schwache Helligkeit gewöhnt. Zuerst wunderte er sich, dass ein Mann mit so wenig Licht auskommen konnte, dann fiel ihm ein, dass Elben die Nacht liebten und helles Licht verabscheuten.
    »Du fürchtest dich.«
    Wieder riss die Stimme des Heerführers Sinan aus seinen Gedanken. Er biss sich auf die Unterlippe. Für einen Augenblick schämte er sich. Nie hätte er einem Elben gegenüber Schwäche zugeben wollen, und besonders galt das für einen Elben aus dem Haus Norandar.
    Nun war es zu spät.
    »Ja«, räumte er schließlich ein und vermerkte mit Genugtuung, dass seine Stimme fest klang. »Doch ich werde meiner Furcht nicht nachgeben.«
    Er wusste nicht, ob diese Worte seinem Gegenüber galten oder nur ihm selbst. Er hob den Blick und spürte erneut Angst in sich aufwallen, als er dem Elben vor sich zum ersten Mal in die Augen sah.
    Doch nichts geschah.
    Vorsichtig nahm Sinan sich die Zeit, seinen Gegner genauer zu betrachten. Was er sah, überraschte ihn. Er hatte erwartet, einen Mann zu erblicken, der genauso aussah wie Tarind selbst. Es war allgemein bekannt, dass der Herr von Norad und sein Bruder von der gleichen Mutter am gleichen Tag, ja, zur gleichen Stunde, geboren worden waren; so, wie Ys einst den Goldenen und den Dunklen Mond in der gleichen Stunde zur Welt brachte.
    Und so war Sinan das Gesicht, in das er sah, vertraut, obwohl er Telarion Norandar nie zuvor begegnet war. Es waren die gleichen blassen, beinahe schönen Züge, die geraden, dichten Brauen und die elbischen Augen, die er seit jenem Tag des Grauens nicht mehr hatte vergessen können.
    Und doch unterschied sich Telarion Norandar grundlegend von seinem Bruder, dem Elbenkönig: Tarind war Wassermagier, und so waren seine Augen leuchtend blau. Die seines Bruders hingegen waren von einem Grün, das der Farbe frischen Laubs entsprach, die längliche Pupille darin von dunklem Gold. Tarind umwehte der schwere,
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