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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende
Autoren: Petra Kirsch
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endgültig zu Fall. Wenn er die Waffe rechtzeitig losgelassen hätte, er sich somit an der Mauer hätte abstützen können – vielleicht wäre dann alles anders gekommen …? So aber streckte er den rechten Arm mit der Waffe, gleich einer wertvollen Meißner Kaffeekanne, in die Höhe und fiel auf die linke Schulter. Beim Aufprall auf den nachlässig geteerten schrundigen Boden des Innenhofs brüllte er vor Schmerzen. Dieser Schrei war es, der den Fahndungserfolg der groß angelegten und lange vorbereiteten Razzia augenblicklich zunichtemachte. Die Kollegen gingen in Deckung. Ebenfalls in Deckung gingen die zwei Rauschgifthändler. Damit war die Razzia gelaufen. Bevor sie Heinrich ins Krankenhaus brachte, erzählte er der verärgerten Kollegenschar, er sei ins Stolpern geraten und dadurch unglücklich gefallen.
    Komisch, dass diese ebenso dürre wie selbstbewusst vorgebrachte Erklärung nie jemand in Zweifel gezogen hatte. Man glaubte ihm die Geschichte. Auch deswegen, weil Heinrich es bisher vermieden hatte, sich als knallharter, professioneller Ermittler zu profilieren. Sein Ruf am Jakobsplatz war bestenfalls mittelmäßig. Und er war durch dieses angebliche Missgeschick des Oberkommissars auf der Skala noch weiter nach unten gefallen. So stand sie seit dieser Stunde doppelt tief in Heinrichs Schuld: Sie war für seine Verletzungen verantwortlich und für die Festigung seines internen schlechten Leumunds. Warum nur hatte sie ihm nicht sofort widersprochen? Und klargestellt, wer an diesem »Missgeschick« ausschließlich Schuld trug? Wahrscheinlich aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus. Ja, sie war ihm in diesem Augenblick dankbar dafür gewesen, sie nicht der Häme der beteiligten Kollegen ausgeliefert zu haben. Und es war vor allem diese Dankbarkeit, die ihr seit vier Tagen das Leben so schwer machte. Morgen endlich, nahm sie sich vor, werde ich mir diesen Druck, die Last der Dankbarkeit vom Hals schaffen. Morgen werde ich zu Fleischmann gehen und ihm die Wahrheit erzählen. Ohne Wenn und Aber. Jawohl, das werde ich.
    Allein der Vorsatz hatte etwas Befreiendes. In dieser Nacht schlief sie erstmals seit Tagen wieder fest und tief.
    Am nächsten Morgen schenkte sie sich soeben die erste Tasse Kaffee ein, als das Telefon klingelte. Es war Kriminaloberrat Karl Fleischmann.
    »Frau Steiner, Sie müssen augenblicklich zum Wasserwerk Erlenstegen fahren.« Wenn ihr Vorgesetzter auf jegliche Grußformel oder Verbindlichkeit verzichtete, was selten geschah, war er in Zeitnot.
    »Guten Morgen, Herr Fleischmann. Was ist passiert?«
    »Am Wasserwerk vor dem Zaun liegt eine männliche Leiche, ermordet und bös zugerichtet. Ein Spaziergänger, der seinen Hund in den Pegnitzauen ausführte, hat sie gefunden. Der Notruf ging vor zwanzig Minuten ein. Die Kollegen von der Schutzpolizei sind schon dort, Spurensicherung und Gerichtsmedizin müssten mittlerweile auch da sein. Ich weiß nicht, ob Sie den Zeugen schon befragen können, so wie ich es verstanden habe, steht er unter Schock.«
    »Sie wissen aber schon, dass ich derzeit allein bin, Herr Fleischmann. Herr Bartels ist ja seit Donnerstag …«
    »Natürlich weiß ich das!«, unterbrach er sie fast schroff. »Aber es geht halt momentan nicht anders. Wenn Sie wieder zurück sind, erstatten Sie mir umgehend Bericht.« Schließlich hängte er noch ein mildes und versöhnliches »Bitte« an.
    Sie schaltete die Kaffeemaschine aus, nahm noch einen großen Schluck aus der Tasse und verließ die Wohnung. Sie musste das Navigationsgerät des Dienstwagens nicht zurate ziehen, sie kannte das Erlenstegener Wasserwerk. Johanna Steiner und Gero von und zu den Waldeshausen, vulgo Max, statteten ihm manchmal einen Besuch ab. Immer dann, wenn den beiden der Sinn nach einer langen Nachmittagsrunde entlang der Pegnitzauen stand.
    Da der morgendliche Berufsverkehr die Pirckheimer Straße in eine Art Schockstarre versetzt hatte, schaltete sie Blaulicht und Martinshorn ein. So schaffte sie die sieben Kilometer lange Wegstrecke von der Innenstadt in den äußersten Osten Nürnbergs in einer persönlichen Bestzeit von acht Minuten. Sie sah die blinkenden Einsatzwagen schon von Weitem, die den rechten Radweg der Erlenstegenstraße vollständig blockierten. Achtlos stellte sie ihr Auto dahinter und ging auf den Parkplatz des Wasserwerks zu.
    Ein drahtiger barhäuptiger Polizist mit aufgeknöpfter Uniformjacke und auf dem Rücken verschränkten Armen bewachte die obere Einfahrt zum Olga-Pöhlmann-Weg,
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