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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende
Autoren: Petra Kirsch
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zu einem Sprung Richtung Haustür an, da trat sie, auf deren Kopf die Heckler & Koch jetzt unheilvoll gerichtet war, ihm instinktiv entgegen, um der Waffe eine Kurskorrektur, nur eine winzige, eine klitzekleine, zu verpassen. Dieser Versuch des Richtungswechsels kam für Oberkommissar Bartels so unerwartet, dass er für einen Moment das Gleichgewicht verlor. Bei dem Bemühen, es wiederzufinden, ließ er den rechten Arm inklusive Waffe kurz nach unten sinken. Da versetzte ihm seine Vorgesetzte, auf deren Körpermitte die Heckler & Koch nun gefahrbringend zielte, wieder instinktiv – man könnte auch sagen: aus einem unguten Bauchgefühl heraus – einen Rempler und …
    Als sie im dritten Stock vor Zimmer 318 stand, atmete sie tief durch, klopfte an die offen stehende Tür und wartete. Von innen antwortete eine weibliche Stimme: »Jahaa!« Sie trat ein. »Ah, Frau Steiner, Grüß Gott«, sagte mit einem herzlichen Lächeln die junge Schwester Merve, die soeben das Abendessen austeilte. »Wenn die Tür offen ist, müssen Sie fall nicht anklopfen. Schauen Sie, Herr Bartels, jetzt haben Sie schon wieder Besuch.«
    Paula Steiner nickte der Schwester kurz zu, um dann Richtung Fenster zu murmeln: »Heinrich, grüß dich. Ich glaub, es ist besser, ich komm später wieder. Und lass dich erst mal in Ruhe essen. Und auch den anderen Herrn.«
    Ein Vorschlag, der von der Schwester mit dem offenkundigen und offenkundig aparten Migrationshintergrund augenblicklich abgelehnt wurde. »Das braucht’s fall nicht. Es ist doch viel schöner, in Gesellschaft zu essen als allein. Oder, Herr Bartels?«
    »Wegen mir musst du nicht gehen. Ich hab sowieso keinen Appetit.«
    Besorgt trat sie an sein Krankenbett. »Warum hast du denn keinen Hunger? Die Verpflegung hier ist doch«, sie deutete auf das Tablett mit dem übersichtlichen Arrangement von drei Scheiben Brot, ebenso vielen Scheiben Bierschinken, Portionskäse und einem Wasserglas, »eh sehr spärlich. Außerdem kann Essen auch eine Abwechslung sein.«
    »Ach, Paula, wenn man krank ist, dann hat man halt keinen Hunger.«
    Sein Zimmergenosse, ein hagerer Mittfünfziger mit eingefallenen Wangen und glasigen Augen, sah das anders. »Freilich ist das eine Abwechslung. Ich freu mich immer aufs Abendessen, genauso wie auf das Mittagessen und auf das Frühstück. Ich hab den ganzen Tag Hunger. Meine Frau muss mir sogar Brote mit grober Leberwurst von daheim mitbringen, weil’s die hier nicht gibt.«
    Paula drehte sich zu dem anderen Patienten um, dann sah sie wieder in Heinrichs rosiges, glattes Gesicht. Ihr Kollege wirkte im Vergleich zu diesem Leberwurstbrot-Freund erstaunlich frisch und erholt, ja eigentlich rundum gesund.
    »Hast du auch Lust auf etwas Besonderes? Ich bringe dir gern was mit. Was immer du willst. Du brauchst es nur zu sagen.« Sie musste eine Weile warten, bis Heinrich verneinend den Kopf schüttelte.
    Als er sein karges Mahl beendet hatte, überreichte sie ihm ihr Geschenk. Heute war es, nachdem sie es die vergangenen drei Tage ohne Erfolg mit allerlei Säften und Lektüre versucht hatte, eine CD. Wagners »Rheingold« auf SACD, eine Multikanal-Aufnahme von Hansjörg Albrecht an zwei Orgeln. Ein echter Knüller und eine Herausforderung für jede Stereoanlage, hatte der Verkäufer gesagt. Doch der bekennende Wagnerianer Bartels legte das »kunstvolle Neuarrangement in der Nachfolge Glenn Goulds« achtlos auf den fahrbaren Beistelltisch neben das leere Tablett.
    »Danke, Paula. Aber ich komm hier gar nicht zum Musikhören. Dafür braucht man Ruhe. Die fehlt mir hier. Außerdem muss man SACDs auf einer anständigen Anlage hören, alles andere wäre Verschwendung. Aber es ist lieb, dass du an mich gedacht hast.«
    Zumindest hatte er registriert, dachte sie befriedigt, dass es sich bei ihrer heutigen Ablassgabe um eine besondere CD handelte.
    »Und, weißt du schon, was dir fehlt? Haben die Ärzte mittlerweile was Konkretes gefunden?«
    Unwillig winkte er ab. »Bis jetzt noch nicht. Das Einzige, was sie festgestellt haben: Es ist nichts gebrochen. Aber dafür habe ich mehrere Prellungen im rechten Ellbogen. Prellungen sind übrigens wesentlich schmerzhafter als Brüche, hat die Ärztin gesagt. Und können sich lang hinziehen. Morgen fahren sie mich nach Erlangen, zur Kernspin-Untersuchung. Ich hab doch immer so einen Druck in der Magengegend. Und«, er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte: »Blut im Urin. Vielleicht finden sie in Erlangen ja was. Es ist bestimmt was
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