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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende
Autoren: Petra Kirsch
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Größeres. Irgendeine innere Verletzung.«
    Bei diesen Worten schnürte es ihr das Herz zusammen. Sie fühlte sich unsagbar elend. Was, wenn sie bei dieser Untersuchung wirklich was Größeres, was Schlimmes fänden? Etwas, das ihm bleiben würde? Dann würde auch ihr etwas bleiben. Eine Schuld von so schwerer Last, dass sie – da ja sie und nur sie dafür verantwortlich war – ihres Lebtags nicht mehr froh werden könnte.
    Sie stand auf und stellte den Besucherstuhl wieder unter das Fenster, als die Tür aufgerissen wurde und ein gut gelaunter etwa fünfzigjähriger Mann in blauem Jogginganzug und Sportschuhen in die gedrückte Stille des Krankenzimmers hineintrompetete: »Was ist denn los, Heiner? Wir warten schon seit einer Viertelstunde auf dich.« Als er Paula Steiner sah, spitzte er die Lippen anerkennend und nickte ihr galant zu. »Ah, du hast Besuch. Das erklärt alles. Und dann noch so hübschen. Da würde ich auch …«
    Schnell fiel ihm Heinrich ins Wort. »Ich komme gleich. Das ist nur meine Chefin. Und du wolltest doch jetzt sowieso gehen, Paula.« Das klang nicht wie eine Frage, eher wie eine Aufforderung.
    »Ich bin schon weg. Lass es dir gut gehen. So weit eben irgend möglich. Morgen Vormittag denke ich an dich. Ich drück dir den Daumen, dass sie nichts finden. Beide Daumen drück ich dir.«
    Vor dem schweren Eingangsportal des Krankenhauses blieb sie stehen und zündete sich eine Zigarette an. »Nur meine Chefin«, hatte er gesagt. Sie verstand ihn; sie hätte ihn auch verstanden und es ergeben hingenommen, wenn er gesagt hätte »Das ist die, die an allem schuld ist«. Und trotzdem, »nur meine Chefin«? Nur?! Das erste Mal schien der Druck, der seit der Razzia wie eine Betonplatte auf ihr lastete, ein wenig erträglicher. Dieses »Nur« hatte ihr einen kleinen Teil des schlechten Gewissens genommen. Und diese Winzigkeit hatte sich nicht in Luft aufgelöst, sondern war zum weiteren Verbleib ins Zimmer 318 des Theresien-Krankenhauses zurückgeschickt worden.
    Bevor sie den Wagen startete, überlegte sie kurz: gleich zurück in die Innenstadt, zu ihrer Wohnung im Vestnertorgraben, oder noch auf einen Sprung zu Gerhard, ihrem alten Freund, der am östlichen Stadtrand ein Wirtshaus führte? Das eine erschien ihr so wenig verlockend wie das andere. Sie wendete und fuhr in den Schlieffenweg.
    Vor dem winzigen Haus ihrer Mutter standen die Belle-de-Londres-Rosen in voller Blüte. Das verwegene Lachsrot bildete einen dekorativen Kontrast zu den Feuerbohnen an der Längsseite des Häuschens, die wie jedes Jahr für die blickdichte Begrünung der Pergola sorgten. Im Kräuterbeet, eingefasst von einer niedrigen Buchsbaumhecke, machte sich soeben Max wichtig. Immer wieder sprang der Rauhaardackel einem Gummiball gleich kopfüber in das Salbei-Geviert, dass Erdkrumenwolken über die rückwärtige Beeteinfassung stiebten. Lautstarkes befriedigtes Grunzen untermalte diese akkurate Choreografie des Erdaushubs. Sie kannte das Spiel: Es hieß Fang-das-Mäusle, und es wurde in diesem Garten nicht nur geduldet, sondern geradezu gefördert und mit Worten und Taten belohnt. Denn die Maus-Phobikerin Johanna Steiner war davon überzeugt, dass ihr Dackel jedem Nager, der sich in ihrem Garten oder noch schlimmer: in ihrem Haus wohnlich niederlassen wollte, über kurz oder lang den Garaus machen würde. Eine Überzeugung, die ihre Tochter nicht teilte: »Ich habe bei dir noch nie eine Maus, weder tot noch lebendig, gesehen.« – »Tja, weil das Maxl eben alle vertreibt«, lautete jedes Mal die triumphierende Antwort. Doch heute hatte Paula Steiner Zweifel, ob Max’ Engagement als Kammerjäger den gewohnten Beifall finden würde. Denn bei ihren empfindlichen Salbeistauden verstand ihre Mutter keinen Spaß.
    Sie öffnete die Gartentür und rief nach dem Hund. Das Freudengewinsel, mit dem er sie begrüßte, ließ die Hausherrin, ausgehfein und dezent geschminkt, nach dem Rechten sehen.
    »Ach, du bist es. Schön, dass du uns besuchst. Ich habe aber gar nichts im Haus, was ich dir anbieten könnte. Und Zeit hab ich auch wenig. Warum hast du denn nicht angerufen, dann hätte ich …«
    Statt einer Antwort deutete Paula lächelnd mit dem Kopf auf das Kräuterbeet. »An deiner Stelle würde ich mir mal den Salbei anschauen. Ich glaube, da wartet eine ziemliche Überraschung auf dich.«
    Gemeinsam beugten sie sich über das Beet; Max hatte schwanzwedelnd und erwartungsvoll zwischen ihnen Platz genommen. Wo vormals der Stolz
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