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Duerers Haende

Duerers Haende

Titel: Duerers Haende
Autoren: Petra Kirsch
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zwei weitere machten sich einen Steinwurf weiter unten daran, das Gelände großräumig mit rot-weißen Streifenbändern abzusperren. Sie sah skeptisch auf die noch feuchte Teerdecke des Zufahrtswegs, dann zum wolkenverhangenen Himmel, als der Polizist mit der offenen Jacke ihr mit erhobenen Händen entgegeneilte.
    »Sie können hier momentan nicht durch. Das gesamte Gebiet ist polizeilich gesperrt.«
    Als sie nicht reagierte, sondern einfach weiterging, lief er ihr hinterher. Sein Ton wurde schärfer. »Sagen Sie mal, hören Sie schwer? Das ist eine polizeiliche Absperrung. Sie können hier nicht durch. Haben wir uns da verstanden?«
    Natürlich musste er sie, die den polizeieigenen BMW außer Sichtweite geparkt hatte und in Jeans und Bluse gekleidet war, für eine Zivilistin halten. Für eine Passantin, die lediglich zum Gaffen gekommen war. Den Ausweis hatte sie im Auto gelassen, und sie hatte wenig Lust, umzukehren und ihn zu holen. An seiner Reaktion war nichts auszusetzen, nicht das Geringste. Es war nur, dass Paula Steiner es hasste, wenn ihr jemand etwas anschaffte. Vor allem am frühen Morgen um acht Uhr. Und erst recht dann, wenn sie ohne ihren witzigen und klugen Mitarbeiter auskommen, allein ohne ihren liebsten Kollegen Heinrich Bartels ermitteln musste.
    »Und Sie«, entgegnete sie, wobei sie das Anredepronomen in die Länge zog, »ziehen sich erst mal ordentlich an, bevor Sie sich hier wichtigtun! Haben wir uns da verstanden?« Mit Betonung auf wir.
    Bevor das reizende Geplänkel fortgesetzt werden konnte, rief von der unteren Einfahrt Bernhard Schuster, der Polizeifotograf, hoch: »Das geht schon in Ordnung. Das ist doch nur die Frau Steiner vom KU. Die brauchen wir hier, die können Sie nicht einfach wegschicken.«
    Nur die Frau Steiner? Wieder dieses »Nur«.
    »Genau. Das ist doch nur die Frau Steiner«, sagte sie in Schusters Richtung. »Und die macht hier nur«, wandte sie sich dem Polizisten zu, der seine Jacke mittlerweile zugeknöpft hatte und stramm vor ihr stand, »ihre Arbeit. Falls Sie nichts dagegen haben.«
    Als sie den Hang hinunterging, drehte sie sich noch einmal um. »Die Mütze fehlt noch.«
    Dann eilte sie auf das Menschenknäuel zu, das sich im Halbkreis vor der Eingangstür des Wasserwerks zu schaffen machte. Neben Schuster und den beiden Schutzpolizisten standen Klaus und Klaus, die Kollegen von der Spurensicherung, und Dr. Frieder Müdsam. Der Gerichtsmediziner hob die Hände mit den durchsichtigen Schutzhandschuhen als Entschuldigung dafür hoch, dass er sie nicht mit Handschlag begrüßte, nickte ihr lächelnd zu und trat dann einen Schritt zur Seite.
    Nun konnte sie den Toten sehen. Ein kleiner, gedrungener Mann, bekleidet mit grauen, an den Knien dünnen Gabardinehosen und einem altmodischen Pfeffer-und-Salz-Sakko. Beides vom anhaltenden Regen der vergangenen Nacht nass. Weiße Tennissocken lugten aus den braunen fleckigen Schuhen hervor. Die Leiche lag exakt mittig auf dem schmalen Fußweg, der einzig planen Stelle im Umkreis von zwanzig Metern; Oberarme und Beine schienen wie mit dem Lineal gezogen parallel zu den Bordsteinkanten ausgestreckt. Nur die Unterarme einschließlich der aufeinandergepressten Handinnenflächen ragten, wie bei einem auf den Kopf gestellten V, im rechten Winkel zum Teerboden gen Himmel. Das irritierte sie. Denn dieses Bild erinnerte sie an etwas, sie wusste aber nicht, woran.
    Schließlich, nach einer Weile, ja nach einer für eine gebürtige Nürnbergerin schon beschämend langen Zeit, fiel es ihr endlich ein: Das waren Dürers »Betende Hände«! Das am häufigsten reproduzierte Werk des größten Künstlers ihrer Heimatstadt, seine berühmteste Zeichnung. Sogar der rechte kleine Finger des Toten war wie bei Dürers Original im unteren Gelenk etwas abgeknickt. Dieses Detail befremdete sie so sehr, dass sie sich zur Ordnung rufen musste, um mit der Leichenschau fortfahren zu können.
    Die obere Gesichtshälfte des Toten war über und über blutverkrustet, sodass sie weder Haare noch Augen sehen konnte, nur den fein gezeichneten, für einen Mann auffällig schönen und doch markanten Mund sowie die bläulich-schwarzen Bartstoppeln, die auf dem bleichen Teint umso dunkler wirkten. Goldener Ehering an der linken Hand. Filigrane Finger an großen Handtellern mit vielen kleinen Narben, die sich wie ein Spinnennetz über Gelenke und Knöchel zogen.
    Der erste Eindruck ist wichtig. Sie versuchte, alles, was sie sah, wie eine Kohlezeichnung auf einem
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