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01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut

Titel: 01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Autoren: Deborah Crombie
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    Duncan Kincaids Urlaub in Yorkshire fing verheißungsvoll an. Gerade als er in die schmale, von hohen Hecken eingefaßte Landstraße einbog, brach ein Sonnenstrahl durch die Wolken und erhellte, als hätte jemand einen himmlischen Scheinwerfer eingeschaltet, ein Stück sanft gewelltes Hochmoor.
      Trockenmauern zogen sich wie blasse Runen über das leuchtende Grün der Weiden, auf denen lichtglänzende Schafe grasten, ohne sich um ihre Bedeutung für die Komposition zu kümmern. Die Szene schien aus Zeit und Raum herausgehoben, und er hatte den Eindruck, ein lebendes Bild vor sich zu sehen, das Bild einer fernen, unerreichbaren Welt. Die Wolken schoben sich wieder zusammen; so rasch wie sie aufgeleuchtet war, erlosch die Vision, und ein merkwürdiges Frösteln des Verlusts überlief ihn bei ihrem Verschwinden.
      Das muß die Schufterei der letzten Wochen sein, dachte er und schüttelte das vage Gefühl dunkler Vorahnung ab. Offiziell verlangte New Scotland Yard von keinem seiner frischgebackenen Superintendenten, daß sie rackerten bis zum frühen Herzinfarkt, aber der August war in den September übergegangen, und die Überstunden hatten sich angesammelt. Irgend etwas war immer dazwischengekommen, und der letzte Fall war besonders scheußlich gewesen.
      Eine ganze Serie von Leichen im ländlichen Sussex, lauter Frauen, alle auf die gleiche Weise verstümmelt - der größte Alptraum eines Kriminalbeamten. Sie hatten ihn schließlich gefaßt, einen Perversen übelster Sorte, aber es gab keine Garantie, daß die Beweise, die sie in mühsamer Kleinarbeit zusammengetragen hatten, einen Haufen pflaumenweicher Geschworener überzeugen würden. Und die Sinnlosigkeit des Ganzen machte den größten Teil der Befriedigung darüber, den Berg von Schreibarbeit bewältigt zu haben, zunichte.
      »Einen amüsanteren Samstagabend könnte ich mir gar nicht vorstellen«, hatte Gemma James, Kincaids Sergeant, am Abend zuvor gesagt, als sie sich durch die letzten Akten geackert hatten.
      »Sagen Sie das mal der Werbeabteilung. Ich glaube, der Gedanke ist denen noch gar nicht gekommen.« Kincaid lachte sie über den vollgepackten Schreibtisch hinweg an. Gemma mit dem vor Müdigkeit schneeweißen Gesicht und den dunklen Schatten unter den Wangenknochen wäre in diesem Moment keine Zierde für ein Werbeposter der Polizei gewesen.
      Sie blähte die Wangen auf und blies zu den feinen roten Haarsträhnen hinauf, die ihr in die Augen hingen. »Sie haben’s gut, Sie bekommen jetzt mal eine Woche lang nichts von allem zu hören und zu sehen. Schade, daß wir nicht alle Vettern mit schicken Ferienwohnungen haben.«
      »Entdecke ich da eine Spur Neid?«
      »Sie fahren ja morgen nur nach Yorkshire, während ich nach Hause fahre, um die Wäsche der letzten Woche zu waschen und mal wieder einzukaufen - wieso sollte ich da neidisch sein?« Gemma lächelte gutgelaunt wie meistens, aber als sie wieder sprach, lag ein Anflug von mütterlicher Besorgnis in ihrer Stimme. »Sie sehen echt fertig aus. Es ist wirklich Zeit, daß Sie mal Urlaub machen. Das wird Ihnen bestimmt guttun.«
      Soviel Fürsorglichkeit von einer Frau, die zehn Jahre jünger war als er, amüsierte Kincaid, aber er fand sie neu und angenehm. Er hatte diese Beförderung mit großem Einsatz angestrebt, weil er gewußt hatte, daß der neue Posten ihm erlauben würde, endlich wieder vom Schreibtisch weg zur praktischen Arbeit zu kommen. Aber allmählich schien ihm, daß das Beste an dieser Beförderung Gemma James war, die man ihm als Sergeant zugeteilt hatte. Gemma war Ende Zwanzig, geschieden und hatte einen kleinen Sohn, den sie allein aufzog; hinter ihrem gutmütigen Naturell verbargen sich, wie Kincaid langsam entdeckte, ein scharfer Verstand und viel Ehrgeiz.
      »Ich glaube nicht, daß es unbedingt mein Fall ist«, sagte er, während er die letzten losen Blätter in einen Hefter schob. »Ein timesharing-Apartment.«
      »Und Ihr Vetter hat das für Sie organisiert?«
      Kincaid nickte. »Seine Frau erwartet ein Kind, und der Arzt hat im letzten Augenblick entschieden, daß es doch besser ist, wenn sie nicht verreist. Und da haben die beiden an mich gedacht, weil sie die Woche nicht einfach sausenlassen wollten.«
      »Fortuna«, konterte Gemma in scherzhaftem Ton, »hat wirklich eine Art, immer die zu beschenken, die es am wenigsten verdienen.«
      Zu müde für den gewohnten Abstecher ins Pub, war Gemma an diesem Abend direkt nach Leyton
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