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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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als Unterschlupf auf jenen geheimen Routen gedient, auf denen Sklaven in die Freiheit geschleust wurden.
    «Schau mal», sagte ich.
    Meine Mutter seufzte und setzte sich auf.«Was denn?», fragte sie.
    «Das hier», sagte ich.«Komm mal her.»
    Sie stand auf und beugte sich über meine Schulter. Sie roch ein wenig seltsam. Ich konnte Prélasser riechen, ihr Lieblingsparfüm, doch darunter war noch ein anderer Geruch, ein seltsamer, scharfer Geruch nach Erschöpfung oder Panik oder Verzweiflung.«Was denn?», fragte meine Mutter noch einmal.
    «Schau dir mal dieses Haus an», sagte ich.«Ist das nicht wunderschön?»
    «Wo ist das?», fragte meine Mutter.
    «In Kansas», sagte ich.«Schau dir diese Bilder an.»Ich klickte nacheinander die Fotos auf der Website an: das Wohnzimmer, das Esszimmer, die Küche, den großen Flur, das Treppenhaus, das Bad, die Schlafzimmer.
    «Ist das nicht hübsch?», fragte ich.
    «Ich mag diese alten Häuser nicht», sagte meine Mutter.
    «Ich schon», sagte ich.«Man kann auf der Veranda schlafen. Und es gibt einen Speisenaufzug. Und ein Fenster aus Tiffany-Glas.»
    «Wer will schon auf der Veranda schlafen?», fragte meine Mutter.
    «Ich», sagte ich.
    «Die Käfer würden dich bei lebendigem Leib auffressen. Da draußen im Mittleren Westen gibt es haufenweise eklige Käfer.»
    «Es gibt ein Fliegengitter», sagte ich.
    «Ich würde mich wie in einem Käfig fühlen», sagte meine Mutter.«Und die Leute könnten reinschauen. Und überhaupt, was ist so falsch an einer Klimaanlage?»Sie richtete sich wieder auf und seufzte und sagte dann:«Tja. Ich gehe dann wohl mal schlafen.»Aber sie blieb da stehen, als wollte sie, dass man ihr widerspricht.
    Nach einem Moment sagte ich:«Warum hast du ihn geheiratet? »
    Sie antwortete nicht. Sie sah aus dem Fenster, oder vielleicht sah sie auch nur ihr Spiegelbild im Fenster an - ich weiß es nicht. Einen Augenblick lang war mir, als hätte ich die Frage gar nicht wirklich gestellt, sondern nur gedacht. Aber dann schüttelte sie leicht den Kopf, als wollte sie ihn frei bekommen. Sie sah noch immer auf das dunkle Fenster.«Weil ich einsam war», sagte sie.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich schwieg.
    «Ich werde immer einsamer», fuhr sie fort. Sie wirkte wie in Trance, wie sie da mit ihrem Spiegelbild im Fenster sprach.«Selbst mit dir und Gillian, wenn sie sich dazu herablässt, uns mit ihrer Anwesenheit zu beehren, und mit Miró und meinen Freunden und der Galerie und den Mittagessen und Abendessen und den Brunches. Es war so schön, mit ihm zu schlafen, es war so schön, jemanden zu haben, der mich nachts festhält.»Sie machte eine Pause.«Herrje», sagte sie.«Ich sollte dir das alles nicht erzählen.»
    «Warum nicht?»
    Sie drehte sich um.«Ich verderbe dir alles. Ich gebe meine ganzen Zweifel und meine ganze Verbitterung an dich weiter, und du wirst nicht mehr an die Liebe glauben.»
    «Ich glaube sowieso nicht an die Liebe.»
    «Natürlich nicht. Wie könntest du auch? Du warst noch nie verliebt. Oder doch? Habe ich da was verpasst?»
    «Nein», sagte ich.
    «Du wirst dich noch verlieben», sagte sie.
    «Werde ich nicht», sagte ich.
    Sie legte mir beide Hände auf die Schultern, beugte sich herunter und küsste mich auf die Wange.«Du bist so ein Schatz, du wirst dich bestimmt verlieben. Ich weiß, was für ein Schatz du bist. Vielleicht besser als alle anderen.»
    «Ich bin kein Schatz», sagte ich.
    «Schscht», sagte meine Mutter.«Widersprich mir nicht. Ich bin erschöpft. Ich gehe jetzt schlafen. Sag mir nur noch gute Nacht.»
    Sie stand in der Tür. Ich drehte mich auf dem Stuhl zu ihr um.«Gute Nacht», sagte ich.
    Sie ging den Flur hinunter und machte das Licht aus. Ich hörte, wie ihre Schlafzimmertür aufging und sich dann wieder schloss. Hinter mir hörte ich ein Geräusch, ein leises Ping vom Computer. Ich drehte mich um: Ich hatte fünf Minuten lang keine Taste gedrückt, deshalb hatte sich der Bildschirm ausgeschaltet. Das Haus in Roseville, Kansas, war verschwunden, und das dunkle Spiegelbild meines Gesichts war an seine Stelle getreten.

2
    Freitag, 25. Juli 2003
    Zumindest in einem Punkt hatte meine Mutter recht gehabt: John brauchte mich in der Galerie nicht. Genau genommen hätte er wahrscheinlich viel mehr erledigen können, wenn ich nicht da gewesen wäre, denn wir beide mochten einander und verbrachten viel Zeit damit, uns zu unterhalten. Natürlich hatte ich ein paar Aufgaben: Ich war dafür verantwortlich,
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