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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben
Autoren: S Elkeles
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rufen höre.
    »Alejandro, komm essen, bevor alles kalt wird. De prisa , beeil dich.«
    »Bin gleich da«, rufe ich zurück. Ich werde nie verstehen, warum die Mahlzeiten eine so wichtige Rolle für sie spielen.
    Meine Brüder kauen bereits emsig ihr Frühstück, als ich in die Küche komme. Ich öffne den Kühlschrank und lasse meinen Blick über den Inhalt schweifen.
    »Setz dich.«
    »Ma, ich schnappe mir bloß …«
    »Du schnappst dir gar nichts, Alejandro. Setz dich. Wir sind eine Familie und werden auch wie eine essen. Gemeinsam.«
    Ich seufze, schließe die Kühlschranktür und setze mich neben Carlos. Es hat seine Nachteile, einer Familie anzugehören, die wie Pech und Schwefel zusammenhält. Mi’amá stellt einen Teller vor meine Nase, auf dem sich huevos und tortillas türmen.

    »Warum sagst du nicht Alex zu mir, so wie alle anderen?«, frage ich mit gesenktem Kopf und starre auf das Essen vor mir.
    »Wenn ich gewollt hätte, dass du Alex heißt, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, den Namen Alejandro für dich auszusuchen. Magst du deinen Namen denn nicht?«
    Jeder Muskel in meinem Körper erstarrt. Ich wurde nach meinem Vater benannt, der nicht mehr am Leben ist, und der mir damit die Verantwortung aufgebürdet hat, der Mann im Haus zu sein. Alejandro, Alejandro jr., Junior – für mich ist es alles dasselbe.
    »Und wenn es so wäre? Würde das etwas ändern?«, murmle ich und nehme mir eine Tortilla. Ich blicke auf, weil ich auf ihre Reaktion gespannt bin.
    Sie hat mir den Rücken zugekehrt und wäscht Teller in der Spüle ab. »Nein.«
    »Alex will doch bloß ein Weißer sein«, mischt sich Carlos ein. »Du kannst deinen Namen ändern, Brüderchen, aber es würde keinem einfallen, dich für etwas anderes zu halten als einen Mexicano .«
    »Carlos, cállate la boca «, warne ich ihn. »Ich möchte nicht weiß sein. Ich will nur nicht für unseren Vater gehalten werden.
    » Por favor , ihr zwei«, bittet uns meine Mutter. »Genug gestritten für heute.«
    » Mojado «, singt Carlos. Er stachelt mich an, indem er mich einen Waschlappen nennt.
    Ich habe genug von Carlos’ Großmaul, er ist zu weit gegangen. Mein Stuhl schrammt über den Boden, als ich abrupt aufstehe. Carlos tut es mir gleich und stellt sich provozierend dicht vor mich. Er weiß, dass ich ihm locker den Arsch versohlen könnte. Sein überdimensioniertes Ego wird ihn eines Tages in ernste Schwierigkeiten bringen, wenn er sich mit der falschen Person anlegt.

    »Carlos, setz dich«, befiehlt mi’amá .
    »Kleiner, dreckiger Mexikaner«, stichelt Carlos mit einem gestellten, starken Akzent. »Oder noch besser, es un Ganguero .«
    »Carlos!«, ruft ihn mi’amá scharf zur Ordnung und macht einen Schritt auf ihn zu, aber ich bin schneller und packe meinen Bruder am Kragen.
    »Ja, das ist alles, was die Leute je über mich denken werden«, sage ich zu ihm. »Und wenn du weiter so einen Müll erzählst, denken sie das bald auch von dir.«
    »Brüderchen, das tun sie doch sowieso schon. Ob ich es nun will oder nicht.«
    Ich lasse ihn los. »Da liegst du falsch, Carlos. Du könntest es schaffen, etwas aus dir zu machen, und ein anständiges Leben führen.«
    »Ein anständigeres als du?«
    »Ja, ein anständigeres als ich und das weißt du auch«, erwidere ich. »Jetzt entschuldige dich bei mamá dafür, dass du in ihrer Gegenwart so einen Mist erzählt hast.«
    Ein Blick in mein Gesicht verrät Carlos, dass ich es verdammt ernst meine. »Tut mir leid, Ma«, sagt er. Dann setzt er sich wieder hin. Sein erboster Blick entgeht mir keineswegs, sein Ego hat offenbar einen Kratzer abbekommen.
    Mi’amá wendet sich ab, um ihre Tränen zu verbergen, und öffnet den Kühlschrank. Verdammt, sie macht sich Sorgen um Carlos. Er kommt bald in die Senior High und die nächsten beiden Jahre werden darüber entscheiden, ob etwas aus ihm wird oder nicht.
    Ich ziehe meine schwarze Lederjacke über – ich muss hier raus! Von mi’amá verabschiede ich mich mit einem Kuss auf die Wange und entschuldige mich dafür, ihr das Frühstück ruiniert zu haben. Auf dem Weg nach draußen frage ich mich, wie
ich Carlos und Luis davon abhalten kann, sich so in die Scheiße zu reiten wie ich. Wie soll ich sie dazu bringen, es anders zu machen? Besser? Bei dem Beispiel, das ich ihnen gebe!
    Auf der Straße grüßen mich ein paar Jungs, die die gleichen Bandanafarben wie ich tragen, mit dem Latino-Blood-Zeichen: Die rechte Hand tippt mit gekrümmtem Ringfinger zweimal
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