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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben
Autoren: S Elkeles
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einen Typen und ein Mädchen auf einem Motorrad übersehen und umgenietet. Ich hatte angenommen, die Parktasche sei leer.
    »Pass gefälligst auf, Miststück«, zischt Carmen Sanchez, das
Mädchen auf dem Sozius des Motorrads, und zeigt mir den Mittelfinger.
    Anscheinend hat sie gefehlt, als es in der Fahrschule um faires Verhalten im Straßenverkehr ging.
    »Sorry!«, rufe ich lauthals, damit man mich über das Röhren des Motorrads hinweg hören kann. »Ich habe gedacht, hier wäre noch frei.«
    Dann wird mir klar, wessen Motorrad ich beinah schrottreif gefahren hätte. Der Fahrer dreht sich um. Wütende dunkle Augen. Ein rot-schwarzes Bandana. Ich lasse mich so tief wie möglich in den Fahrersitz sinken.
    »Oh, Scheiße. Es ist Alex Fuentes«, sage ich am ganzen Körper zitternd.
    »Verfluchte Hacke, Brit«, flüstert Sierra heiser. »Ich würde meinen Abschluss gern noch erleben. Bring uns hier weg, bevor er beschließt, uns beide zu lynchen.«
    Alex starrt mich mit seinem dämonischen Blick an, während er das Motorrad aufbockt. Hat er vor, mich zu Hackfleisch zu verarbeiten?
    Ich suche nach dem Rückwärtsgang, bewege hektisch den Knüppel vor und zurück. Mein Dad hat mir natürlich ein Auto mit Schaltung gekauft, ohne sich darum zu scheren, ob ich damit auch zurechtkomme.
    Alex macht einen Schritt auf das Auto zu. Mein Instinkt rät mir, sofort aus dem Wagen zu flüchten, so als stünde ich mitten auf einem Bahnübergang und ein Zug rase auf mich zu. Ich werfe Sierra einen kurzen Blick zu, die in ihrer Handtasche herumkramt, als würde sie verzweifelt nach etwas suchen. Was zum Teufel soll das?
    »Ich krieg den verdammten Rückwärtsgang nicht rein. Ich brauche deine Hilfe. Wonach suchst du?«, frage ich sie entgeistert.

    »Nach … nichts eigentlich. Ich versuche nur, jeden Blickkontakt mit den Latino-Blood-Geschwistern da drüben zu vermeiden. Bring uns endlich hier weg, okay?«, erwidert Sierra mit gepresster Stimme. »Außerdem kenne ich mich nur mit Automatikwagen aus.«
    Endlich schaffe ich es, den Rückwärtsgang einzulegen, und setze mit quietschenden Reifen nach hinten. Die Suche nach einem freien Parkplatz beginnt aufs Neue.
    Nachdem wir auf der Westseite geparkt haben, weit weg von einem gewissen Gangmitglied, dessen Ruf sogar gestandene Footballspieler der Fairfield vor Angst erzittern lässt, gehe ich die Stufen zum Hauptportal hoch. Pech für uns – Alex Fuentes und der Rest seiner Latinofreunde hängen neben der Eingangstür rum.
    »Geh einfach an ihnen vorbei«, raunt mir Sierra zu. »Was immer du tust, sieh ihnen nicht in die Augen.«
    Diesen Rat zu befolgen wird schlichtweg unmöglich, als Alex Fuentes sich mir in den Weg stellt. Wie geht noch mal das Gebet, das man unmittelbar vor seinem Tod sprechen soll?
    »Dein Fahrstil ist’ne absolute Katastrophe«, sagte Alex mit seinem leichten Latinoakzent und in voller Alphamännchen-Pose.
    Der Kerl sieht mit seinem irren Körper und den makellosen Gesichtszügen vielleicht aus wie ein Calvin-Klein-Model, aber viel wahrscheinlicher ist, dass sein Konterfei schon bald für ein Fahndungsfoto benötigt wird.
    Die Kids von der Northside geben sich normalerweise nicht mit denen von der Southside ab. Das liegt nicht daran, dass wir uns für etwas Besseres halten, wir sind einfach anders. Wir wachsen alle in derselben Stadt auf, aber wir führen vollkommen verschiedene Leben. Wir Northside-Kids wohnen in großen Häusern direkt am Michigansee, die Southside-Kids dagegen
an den Bahngleisen. Wir sehen anders aus, reden anders und kleiden uns anders. Ich sage damit nicht, dass das eine gut und das andere schlecht ist – so ist es eben einfach auf der Fairfield. Und, um ehrlich zu sein, von den meisten Southside-Mädchen werde ich behandelt wie von Carmen Sanchez. Sie hassen mich für das, was ich bin.
    Oder, genauer gesagt, für das, wofür sie mich halten.
    Alex sieht mich herausfordernd an. Sein Blick wandert langsam über meinen Körper, nimmt jedes Detail genüsslich in Augenschein. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Typ mich mit Blicken auszieht, es ist nur, dass es bisher keiner so offensichtlich getan hat wie Alex. Und mir dabei körperlich so nah war. Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt.
    »Pass das nächste Mal auf, wo du hinfährst«, sagt er. Seine Stimme klingt kühl und beherrscht.
    Er versucht mir zu zeigen, wer hier der Boss ist. Darin ist er Profi. Aber ich werde nicht zulassen, dass er mir unter die Haut kriecht und sein
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