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Du lebst, solange ich es will

Du lebst, solange ich es will

Titel: Du lebst, solange ich es will
Autoren: April Henry
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Baum verfangen haben, der Treibgut in der Strömung auffängt. Sollte das der Fall sein, kann Gavin nur hoffen, dass das Mädchen vorher bereits tot war. Sonst hätte sie die Strömung unter Wasser gehalten, bis sie qualvoll ertrunken wäre.
    Mit etwas Glück liegt die Leiche noch in der Nähe am Grund. Erst in ein oder zwei Wochen würde sie auftauchen. Unter Wasser hat eine Leiche ein tatsächliches Gewicht von etwa zwei Kilo. Sollte Gavin sie finden, kann er sie leicht handhaben, zumindest bis er sie an die Wasseroberfläche bringt.
    Das Schlimmste ist, dass die Eltern am Ufer warten und sich weigern, zu gehen. Wenn Gavin nichts findet, werden sie das nicht verstehen. Sie werden nicht verstehen, dass er auf Händen und Knien und nahezu blind suchen muss. Man taucht vielleicht nur fünf Zentimeter an etwas vorbei und erfährt nie davon. Außerdem ist das Mädchen bei einer Strömung wie dieser, die durch die lang anhaltenden Regenfälle in der letzten Zeit noch stärker geworden ist, schon längst weg.
    Und wenn Gavin das Mädchen doch findet? Das wäre noch schlimmer. Die Eltern würden schreien und sich die Haare raufen, während er das, was einst ihr Baby war, ans Ufer bringt.
    Aber zumindest sind sie dann nicht mehr im Ungewissen.

Der dritte Tag
GABY
    »Du gehst nicht arbeiten«, sagt meine Mutter, als ich mit meinem roten Poloshirt, auf dessen linker Brusttasche Pete’s Pizza aufgestickt ist, nach unten komme. Es klingt wie eine Mischung aus einer Frage und einem Befehl. Auf dem Küchentresen liegen lauter Einkaufstüten vom Bio-Supermarkt.
    »Ich muss. Ich bin heute zur Schicht eingeteilt.«
    »Niemand wird das von dir erwarten. Nicht nach allem, was passiert ist.« Sie stellt eine Flasche Bio-Magermilch in den Kühlschrank, dann eine weitere.
    »Ich kann hier nicht einfach herumsitzen und mir den Kopf zerbrechen. Lieber gehe ich arbeiten und lenke mich so ab.«
    Sie holt zwei grüne Pappschachteln mit winzigen Erdbeeren aus einer Tüte. »Wie willst du dich ablenken, wenn du genau dahin gehst, wo es passiert ist?«
    »Aber es ist nicht in der Pizzeria passiert«, erwidere ich, während sie eine Erdbeere gründlich wäscht, das Grüne abmacht und sie sich in den Mund steckt. »Es ist am Fluss passiert. Kilometerweit entfernt.« Mom weiß nicht, dass der Mann erst nach mir gefragt hat. Sie weiß es nicht, weil ich es ihr nicht gesagt habe.
    Meine Eltern wissen noch nicht einmal, dass ich Pizzas ausfahre. Die Schilder lassen sich mit Magneten am Autodach festmachen und es gibt zwei Schilder in Petes Lagerraum. Na ja, jetzt wohl nur noch eins, denn die Polizei hat das von Kaylas Auto sicher behalten.
    Meine Eltern vermeiden jedes Risiko. Der Zündschlüssel wird im Auto erst umgedreht, wenn jeder angeschnallt ist. Obwohl sie ständig mit dem Handy telefonieren, gehen meine Eltern nie ran, wenn sie fahren. Und wehe, man fährt ohne Helm Fahrrad. Als ich dreizehn war, hielt mir Mom einen Vortrag über Verhütung und wollte einfach nicht aufhören, obwohl ich sie anflehte. Meine Eltern erwarten, dass ich sieben Mal am Tag Obst und Gemüse esse und drei Gläser Magermilch trinke. Wenn überhaupt mal Eiscreme im Tiefkühlfach ist, dann immer fettreduzierte und die »Butter« im Kühlschrank ist aus irgendeinem Bestandteil von Kiefern gemacht, der Cholesterin senken soll.
    Risiken zu vermeiden, ist eine großartige Strategie für einen OP-Saal. Aber was das Leben betrifft, bin ich mir da nicht so sicher.
    »Ich weiß nicht.« Mom hebt eine leere Einkaufstüte hoch und ein großer knallroter Fleck kommt auf dem hellgrauen Granittresen zum Vorschein. Sie schnalzt und nimmt einen Schwamm. Offenbar ist eine Erdbeere unter die Einkaufstüte geraten. Es sieht aus wie Blut.
    Ich frage mich, wo Kayla ist. Sie muss tot sein. Aber das kann ich einfach nicht glauben. Etwas in meinem Inneren sagt noch immer Nein.
    Meinen Eltern ist wichtig, dass man Verantwortung übernimmt, daher sage ich: »Pete hat mich heute Mittag angerufen und gefragt, ob ich zur Arbeit komme. Er sagt, sie brauchen mich dringend. Es ist so viel los, dass er mehrere Leute einteilen musste. Es besteht also keinerlei Gefahr.« Ich hole tief Luft. »Komm schon - ich muss unter Leute. Wenn ich zu Hause herumsitze, werde ich noch verrückt.«
    Mom stülpt die Lippen nach außen. »Wie wäre es, wenn ich dich hinfahre und Dad dich wieder abholt?«
    »Aber wenn ihr zu einer Notoperation gerufen werdet, sitze ich bei Pete fest und komme nicht nach Hause«, weise
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